Die Ueberrei-
chung der Note
in Belgrad.
Patschu
erbittet Russ-
lands Hilfe.
96 23. Juli
sen dagegen trägt man seit einiger Zeit mit mehr oder weniger
Aufrichtigkeit wirklichen Pessimismus zur Schau.
Der Ministerpräsident vornehmlich sagte mir heute, dass
die österreichische Note, die er kenne,') seiner Ansicht
nach in einer für Serbien annehmbaren Weise redigiert worden
sei, aber dass die gegenwärtige Lage deshalb nicht minder
ernsthaft wäre.
Der russische Geschäftsträger in Belgrad, Strandtman, an
den russischen Minister des Aeusseren, Sasonow.
Orangebuch Nr.]1.
Belgrad.
Der österreichische Gesandte hat soeben, um 6 Uhr
abends, dem Finanzminister Patschu, der Paschitch vertritt,
eine Ultimatumsnote überreicht, die für die Annahme der darin
enthaltenen Forderungen eine Frist von 48 Stunden iestsetzt.
Giesl fügte mündlich hinzu, dass, falls die Note nicht voll-
ständig innerhalb der Frist von 48 Stunden angenommen
würde, er Befehl hätte, Belgrad mit dem Gesandtschaftspersonal
zu verlassen. Paschitch und die anderen Minister, die auf einer
Wahlreise begriffen sind, wurden zurückberufen und werden
morgen früh 10 Uhr in Belgrad erwartet. Patschu, der mir
den Inhalt der Note mitteilte, erbittet die Hilfe Russlands und
erklärt, dass keine serbische Regierung die Forderungen
Oesterreichs annehmen könne.')
Gib. Nr. 21. ') Siehe Einführung S. 36—37. «Dont il avait
connaissance> im Gib. gesperrt. Der Ministerpräsident, Graf von
Hertling, dementierte diese Behauptung, in der das Gib. den — ein-
zigen! — Beweis für Deutschlands Kenntnis von dem österreichisch-
ungarischen Schritt zu besitzen glaubt. Siehe auch Gib. Nr. 15 und 30.
Ob.Nr.1. ')Es ist zu beachten, dass der stellvertretende Minister
Patschu sogleich nach Kenntnisnahme der Note, ohne Beratung mit dem
Ministerpräsidenten und den anderen Ministern, die Note als unannehmbar
bezeichnen, davon den russischen Geschäftsträger offiziell verstän-
digen und Russlands Hilfe erbitten konnte. Die Stellungnahme Serbiens
war, wie auch die vorhergehenden Dokumente des Gib. und serb. Bib.
zeigen, also bereits vor der Ueberreichung der Note, festgelegt. Patschu
selbst telegraphierte nach Erhalt der Note an die serbischen Gesandten:
« Die serbische Regierung hat noch keine Entscheidung getroffen,
da nicht alle Minister in Belgrad weilen; aber bereits jetzt kann ich
sagen, dass diese Forderungen derart sind, dass keine serbische Re-
gierung sie vollständig annehmen kann». Erwähnt aber nicht den
Hilferuf an Russland (serb. Bib. Nr. 33).