23. Juli 97
Der deutsche Reichskanzler, von Bethmann Hollweg, an die
deutschen Botschafter, Freiherrn von Schön, Graf Pour-
talöes und Fürst Lichnowsky, in Paris, St. Petersburg
und London. ')
Weissbuch, Anlage 1.
Berlin.
Die Veröffentlichungen der österreichisch-ungarischen Re-
gierung über die Umstände, unter denen das Atteniat auf den
österreichischen Thronfolger und seine Gemahlin stattgefunden
hat, enthüllen offen die Ziele, die sich die grosserbische Propa-
ganda gesetzt hat, und die Mittel, deren sie sich zur Verwirk-
lichung derselben bedient. Auch müssen durch die bekannt
gegebenen Tatsachen die letzten Zweifel darüber schwinden,
dass das Aktionszentrum der Bestrebungen, die auf Loslösung
der südslawischen Provinzen von der österreichisch-ungari-
schen Monarchie und deren Vereinigung mit dem serbischen
Königreich hinauslaufen, in Belgrad zu suchen ist, und dort
zum mindesten mit der Konnivenz von Angehörigen der Re-
sierung und Armee seine Tätigkeit entfaltet.
Die serbischen Treibereien gehen auf eine lange Reihe
von Jahren zurück. In besonders markanter Form trat der
grosserbische Chauvinismus während der bosnischen Krisis in
die Erscheinung. Nur der weitgehenden Selbstbeherrschung und
Mässigung der österreichisch-ungarischen Regierung und dem
energischen Einschreiten der Grossmächte war es zuzuschrei-
ben, dass die Provokationen, welchen Oesterreich-Ungarn in
dieser Zeit von seiten Serbiens ausgesetzt war, nicht zum Kon-
flikte führten. Die Zusicherung künftigen Wohlverhaltens, die
die serbische Regierung damals gegeben hat, hat sie nicht ein-
gehalten. Unter den Augen, zum mindesten unter stillschwei-
gender Duldung des amtlichen Serbiens, hat die grosserbische
Propaganda inzwischen fortgesetzt an Ausdehnung und Inten-
sität zugenommen; auf ihr Konto ist das jüngste Verbrechen
zu setzen, dessen Fäden nach Belgrad führen. Es hat sich in
unzweidentiger Weise kundgetan, dass es weder mit der
Würde noch mit der Selbsterhaltung der österreichisch-ungari-
schen Monarchie vereinbar sein würde, dem Treiben jenseits
der Grenze noch länger tatenlos zuzusehen, durch das die
Sicherheit und die Integrität ihrer Gebiete dauernd bedroht
\ Wb. Nr.1. ') Das Wb. führt nur Paris, London, St. Petersburg an,
während die österreichischeMitteilung auch aussernach Berlinunddiesen
drei Hauptstädten nach Rom und Konstantinopel gerichtet wurde. Es
handelt sich also um einen deutschen Schritt beim Dreiverband.
Deutschland
ersucht den
Dreiverband
um gerechte
Würdigung
des Österrei-
chisch-ungari-
schen Schrittes
und befürwor-
tet die Lokali-
sierung: des
Konfliktes.