Der beleische
Gesandte in
Berlin ver-
dächtigt die
deutsche
Politik.
136 25. Juli
Der französische Botschafter in Berlin, Jules Cambon, an
den stellvertretenden französischen Minister des Aeus-
seren, Bienvenu-Martin.
Gelbbuch Nr. 55.
Berlin.
Der belgische Gesandte ist über die Ereignisse sehr be-
sorgt.
Er ist der Ansicht, dass Oesterreich und Deutschland
aus dem Zusammentreffen der Umstände Nutzen ziehen wollen,
nach denen Russland und England ihnen gegenwärtig als von
innern Unruhen erfüllt erscheinen und in Frankreich die Mi-
litärfrage in Frage gestellt ist;') er glaubt daher auch nicht,
dass die Berliner Regierung in Bezug auf die österreichische
Note unwissend war, wie sie es vorgibt.
Er glaubt, dass wenn die Form dieser Demarche nicht
dem Berliner Kabinett unterbreitet wurde, man (doch gemein-
sam mit ihm geschickt den Augenblick wählte, um den Drei-
verband in einem Augenblick der Desorganisation zu über-
raschen.
Er hatte den italienischen Botschafter gesprochen, der
seinen Urlaub soeben abbrach, um zurückzukehren. Es scheint,
dass Italien überrascht ist, um nicht mehr zu sagen, weil es
in dieser ganzen Angelegenheit von seinen beiden Verbündeten
aus dem Spiele gelassen wurde.?)
Gib. Nr. 35. ') Mit den inneren Unruhen sind die Arbeiterunruhen
gemeint, die mit dem Aufenthalt des Präsidenten der Republik in Russland
zusammenfielen, und die irländische Bewegung. — Die Schwierigkeiten,
unter denen nach den Kammerwahlen, die für die Anhänger der drei-
jährigen Dienstzeit ziemlich ungünstig ausfielen, Präsident Poincare
seine neue Regierung bildete, Ribots Misserfolg und die Bildung
eines Ministeriums Viviani, in dem Gegner des dreijährigen Dienstes
sassen und das sich auf die Sozialisten stützen musste, stellten in der
Tat den dreijährigen Dienst wieder in Frage. Es ist aber unerfindlich,
wieso die Gefahr, in welcher der dreijährige Dienst schwebte, Deutsch-
land zum Kriege verleiten sollte. Im Gegenteil, ein Krieg machte diese
französischen Schwierigkeiten hinfällig. Glaubte man an eine Gefähr-
dung des dreijährigen Dienstes, an seine Abschaffung in absehbarer
Zeit, so musste im Grunde ein Krieg als das einzige Mittel gelten,
ihn jetzt, da er noch funktionierte, nutzbar zu machen. Will man in
diesem Zusammenhange überhaupt den dreijährigen Dienst nennen,
so wäre es für Deutschland entschieden zweckmässig gewesen, seine
bevorstehende Abschaffung abzuwarten, während Frankreich alles
Interesse hatte, zum Kriege zu treiben, solange es noch über diese
Waffe verfügte.
°) Siehe Anmerkung zu Gib. 87.