194 27. Juli
dass sie ihre subversive Kampagne gegen Oesterreich tat-
sächlich nicht fortsetzen würden.
Ich sagte, dass es mir schiene, als ob die österreichisch-
ungarische Regierung glaube, sie könne sogar nach der ser-
bischen Antwort mit Serbien Krieg führen, ohne Russlands
Eingreifen in den Streit befürchten zu müssen. Wenn Oester-
reich-Ungarn Krieg mit Serbien führen und gleichzeitig Russ-
land zufriedenstellen könne, wäre alles zum Besten; wenn nicht,
würden die unberechenbarsten Folgen entstehen. Ich sagte, dass
ich diesen Satz aus einer Meinungsäusserung der deutschen Re-
gierung wiedergebe.') Ich fürchte, dass man in St. Petersburg
nach der serbischen Antwort eine Entspannung erwarte und
dass, wenn man sieht, dass die Spannung nur grösser wird,
die Lage ernster werde. Bereits sei die Wirkung in Europa all-
gemeine Befürchtung. Ich sagte, dass unsere Flotte heute hätte
auseinandergehen sollen, wir uns aber nicht iin der
Lage befunden hätten, den diesbezüglichen
Befehl zu erteilen. Ich dächte, der Augenblick seinoch
nicht gekommen, die Reserven einzuberufen, ınd unsere Flotten-
massnahmen bedeuten keine Drohung; aber in Betracht eines
möglichen europäischen Krieges könnten wir
jetzt unmöglich unsere Streitkräfte zerstreuen.”) Ich zitiere dies
als Illustration der Befürchtungen, die man hege. Ich sei der
Ansicht, dass die serbische Antwort schon die grösste Demü-
tigung bedeute, der ein Land je ausgesetzt worden sei, und ich
fühlte mich darüber sehr enttäuscht, dass die österreichisch-
ungarische Regierung sie behandle, als sei sie ebenso unbe-
friedigend wie eine glatte Ablehnung. °)
Bib. Nr. 48. ') Grey zitiert hier die deutsche Mitteilung, in der
auf die unberechenbaren Folgen hingewiesen wird, wenn der Konflikt
nicht lokalisiert bleibe, woraus Deutschland folgerichtig natürlich den
Schluss zieht, dass er lokalisiert bleiben müsse. Dieses Zitat aus Greps
Munde zur Einschüchterung Oesterreichs ist mehr als seltsam, da er
damit ja gerade das Prinzip der Lokalisierung bekämpft.
°) Also selbst England, der am wenigsten beteiligte Staat, glaubte
militärische Massnahmen erlassen zu müssen. Deutschlands Sorge
dagegen betreffs der russischen Mobilmachungsmassnahmen wollte
Grep nicht begreifen.
®) Mensdorff unterrichtet übereinstimmend mit dem Greyschen
Bericht am gleichen Tag Berchtold von dieser Unterhaltung und
schliesst mit diesen Worten: «Ich glaube Euer Exzellenz gegenüber
nicht besonders hervorheben zu sollen, dass der Grepsche Konferenz-
vorschlag, insoweit er sich auf unseren Konflikt mit Serbien bezieht,
angesichts des eingetretenen Kriegszustandes durch die Ereignisse
überholt erscheint.» Rb. 38.