28. Juli 205
von ihm soeben gelesenen Zeitungsnachrichten bewahrheiten
sollten, dass Russland im Süden bereits vierzehn Armeekorps
mobilisiert habe, müsse er die Umstände als äusserst ernst
ansehen und er würde sich in einer ungemein schwierigen Lage
befinden, da es unter solchen Umständen nicht
inseiner Macht läge, in Wien weiterhin Mässigung an-
zuempfehlen. Er fügte bei, dass Oesterreich-Ungarn, das bis
ietzt nur teilweise mobilisiere, ähnliche Massregeln ergreifen
müsste; wenn daraus der Krieg entstehen würde, wäre Russ-
land allein verantwortlich. Ich wagte einzuwenden, dass, wenn
Oesterreich-Ungarn darauf beharrte, von der serbischen Note,
welche nach meinem Dafürhalten fast jede Forderung Oester-
reich-Ungarns bewilligte und jedenfalls die Grundlage zu Ver-
handlungen darbiete, keine Kenntnis zu nehmen, Oesterreich-Un-
garn sicher auch einen Teil der Verantwortung trüge. Seine Ex-
zellenz erwiderte, dass er über die serbische Note nicht zu disku-
tieren wünsche, dass aber der Standpunkt, welchen Oester-
reich-Ungarn einnehme und den er teile, der sei, dass die Streit-
frage nur Oesterreich und Serbien, aber Russland keineswegs
betreffe. Er wiederholte seinen Wunsch, mit Grossbritannien
zusammen zu arbeiten und seine Absicht, für die Erhaltung
des allgemeinen Friedens sein Bestes zu tun. Seine letzten
Worte waren: «Ein Krieg zwischen den Gross-
mächten muss vermieden werden.»
Mein österreichisch-ungarischer Kollege sagte mir heute,
dass ein allgemeiner Krieg sehr unwahrscheinlich sei, da Russ-
land weder einen Krieg wünsche, noch sich in der Lage befinds,
einen solchen zu unternehmen. Ich glaube, dass diese Meinung
von vielen Leuten hier geteilt wird.')
Der österreichisch-ungarische Botschafter in Tokio, Freiherr
von Müller, an den österreichisch-ungarischen Minister
des Aeusseren, Graf Berchtold.
Rotbuch Nr. 56.
Tokio.
Die heutige offiziöse japanische Times enthält einen Leit-
artikel, der am Schlusse besagt, dass Japan mit den drei in
Betracht kommenden Grossmächten Oesterreich - Ungarn,
Deutschland und Russland auf bestem Fusse stehe, während es
an Serbien in keiner Weise interessiert sei. Im Kriegsfalle
würde die kaiserliche Regierung selbstverständlich
strengste Neutralitätbewahren.
Bib. Nr. 71. ') Dieser letzte Satz fehlt in der Berner Ueber-
setzung.
Er betont aber-
mals, dass
Russlands Mo-
bilmachung
alle Vermitt-
lungsbemü-
hungen gefähr-
det.
Er drückt sei-
nen Abscheu
vor einem
Kriege aus.
Japan willneu-
tral pleiben!