28. Juli | 219
aufzugeben. Der österreichisch-ungarischen Regierung
wird demnach, will sie nicht auf ihre Stellung als Grossmacht
endgültig Verzicht leisten, nichts anderes übrig bleiben, als ihre
Forderungen durch einen starken Druck und nötigenfalls unter
der Ergreifung militärischer Massnahmen durchzusetzen.
Finzelne russische Stimmen betrachten das als selbstver-
ständliches Recht und als die Aufgabe Russlands, in dem Kon-
flikte zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien aktiv für Ser-
bien Partei zu ergreifen. Für die aus einem solchen Schritte
Russlands resultierende europäische Konflagration glaubt die
Nowoje Wremja sogar Deutschland verantwortlich machen
zu dürfen, sofern es nicht Oesterreich-Ungarn zum Nachgeben
veranlasst. Die russische Presse stellt hiermit die Verhältnisse
aufdenKopf. Nicht Oesterreich-Ungarn hat den
KonfliktmitSerbienhervorgerufen,sondern
Serbien ist es gewesen, das durch eine skrupellose Be-
rünstigung grosserbischer Aspirationen auch in Teilen der
österreichisch-ungarischen Monarchie diese selbst in ihrer Exi-
stenz gefährdet und Zustände geschaffen hat, die schliesslich
in der frevelhaften Tat von Serajewo ihren Ausdruck gefunden
haben. Wenn Russland in diesem Konflikt für Serbien ein-
treten zu müssen glaubt, so ist das an sich gewiss ein gutes
Recht. Es muss sich aber darüber klar sein, dass es damit die
serbischen Bestrebungen auf Unterhöhlung der Existenz-
bedingungen der österreichisch-ungarischen Monarchie zu den
seinigen macht, und dass es allein die Verantwor-
tung trägt, wenn aus dem österreichisch-serbischen Han-
del, den alle übrigen Grossmächte zu lokalisieren wünschen,
eineuropäischerKriegentsteht. Diese Verantwor-
tung Russlands liegt klar zutage und wiegt um so schwerer,
als Graf Berchtold Russland offiziell erklärt hat, es beab-
sichtige weder serbische Gebietsteile zu er-
werbennoch .denBestand desserbischen Kö-
nigreichs anzutasten, sondern wolle lediglich Ruhe
vor den seine Existenz gefährdenden serbischen Umtrieben
aben.
Die Haltung der Kaiserlichen Regierung in dieser Frage
ist deutlich vorgezeichnet. Die von den Panslawisten gegen
Oesterreich-Ungarn betriebene Agitation erstrebt in ihrem
Endziel mittelst der Zertrümmerung der Donaumonarchie, die
Sprengung oder Schwächung des Dreibundes und in ihrer
Folgewirkung eine völlige Isolierung des Deutschen Reichs.
Unser eigenstes Interesse ruft uns demnach
an die Seite Oesterreich-Ungarns. Die Pflicht,
Europa wenn irgend möglich vor einem allgemeinen Kriege zu
Nicht Oester-
reich-Ungarn
eröffnete den
Konflikt, son-
dern Serbien.
Russland trägt
die Verantwor-
tung an einem
etwaigen euro-
äischen
iege, weil es
schützend vor
Serbien tritt.