Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

Buchanan ist 
mit dem deut- 
schen Bot- 
schafter in St. 
Petersburg un- 
zufrieden. 
238 29. Juli 
  
  
  
Der Minister des Aeusseren meinte dann, dass der Vor- 
schlag, von dem Ihr Telegramm‘) vom 28. ds. berichtet, von 
untergeordneter Bedeutung sei. Unter den veränderten Verhält- 
nissen der Lare könne er ihm kaum Wichtigkeit beimessen. 
Sodann, fuhr er fort, habe ihm der deutsche Botschafter mit- 
geteilt, dass seine Regierung ihren freundlichen Einfluss in 
Wien weiter geltend mache. Ich befürchte, dass der deutsche 
Botschafter nicht dazu beitragen wird, die Lage zu mildern, 
wenn er seiner Regierung gegenüber die gleiche Sprache führt, 
welche er heute mir gegenüber anwandte. Er beschuldigte die 
russische Regierung, durch ihre Mobilisation den europäischen 
Frieden zu gefährden, und sagte, als ich auf alles, was seit ge- 
raumer Zeit Oesterreich tat, hinwies, solche Angelegenheiten 
nicht besprechen zu können.’) Ich machte ihn darauf aufmerk- 
sam, dass die österreichisch-ungarischen Konsuln allen öster- 
reichischen Untertanen, welche in einem militärischen Dienst- 
verhältnis standen, mitgeteilt hätten, sie möchten sich stellen, 
dass Oesterreich bereits mobilisiert und denKrieg gegenSerbien 
erklärt habe. Nach den Ereignissen der Balkankrise wisse 
Oesterreich-Ungarn, dass Russland diese Handlungsweise ohne 
Demütigung unmöglich dulden könne. Hätte Russland seinen 
Ernst durch die Mobilisation nicht bekundet, so würde Oester- 
reich-Ungarn sich auf die russische Friedensliebe verlassen und 
geglaubt haben, es könne sich alles erlauben. Der Minister des 
Aeusseren hat mir zu verstehen gegeben, dass Russland den 
Krieg nicht durch eine sofortige Grenzüberschreitung be- 
schleunigen würde, und dass in iedem Fall ein bis zwei Wochen 
vergehen würde, bis die Mobilisation beendet sei. Um einen 
Ausweg zu finden, der die gefährliche Lage entspannen wtürde, 
müssten wir in der Zwischenzeit alle zusammen wirken.‘) 
Bib. Nr. 78. %) Bib. Nr. 69. 
°) Pourtales sagt hier nur, was auch Buchanan wiederholt ge- 
sagt hatte, so Bib. Nr. 17. Buchanan trägt hier jetzt auch äusserlich 
eine Deutschfeindlichkeit zur Schau, die er bisher vermied. Vergleiche 
damit den Brief des belgischen Geschäftsträgers in St. Petersburg, De 
l’Escaille, S. 256 ff., über die Wendung der englischen Politik in 
St. Petersburg am 29. Juli. 
6) Man kann die russische Auffassung nicht naiver aussprechen, 
als das hier geschieht: Russland brauche noch eine bis zwei Wochen 
bis zur Vollendung der Mobilmachung. Die «Zwischenzeit» könne 
für Auswege benützt werden! Also Friedensbemühungen während der 
für die russische Mobilmachung unumgänglich notwendigen Zeit. Und 
dann... ? Und das nimmt Buchanan ohne Kommentar hin und gibt es 
ohne Kommentar weiter. Hier aber liegt der Kern der russischen Po- 
litik während der Krisis: Friedensverhandlungen mit gleichzeitiger 
Mobilmachung.
	        
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