29. Juli 245
Herr Camibon sagte, dass ich die Lage sehr klar dar-
gelegt hätte. Er verstand meine Meinung dahin, dass ın
einem balkanischen Streit und in einem Kampf um die Vorherr-
schaft zwischen Teutonen und Slawen, wir uns nicht berufen
fühlten, zu intervenieren; wenn aber andere Fragen auftauchen
und Frankreich und Deutschland mitverwickelt würden, so
dassdieFrageder HegemonieinEuropagelte,
wir entscheiden würden, was uns zu tun nottäte. Er schien
auf diese Erklärung völlig vorbereitet zu sein und machte
keinerlei Einwiendung.
Er sagte, die französische öffentliche Meinung sei ruhig,
aber entschlossen. Er erwarte, dass Deutschland
Frankreich auffordern werde, neutral zu
bleiben, während Deutschland Russland angreife. Diese
Versicherung könne Frankreich natürlich
nicht geben, es wäre gezwungen, Russland
zuhelfen, wenn Russland angegriffen würde.
Der russische Botschafter in Paris, Iswolsky, an den russischen
Minister des Aeusseren, Sasonow.
Orangebuch Nr. 53.
Paris.
Anlässlich der Ankunft des Präsidenten der Republik hat
der Minister des Aeusseren ein kurzes Expose über die Lage
in ungefähr folgendem Wortlaut vorbereitet : ')
Oesterreich, das seine innere Zersetzung fürchtet, be-
mächtigtesichdes Vorwandes der Ermordung des
Erzherzogs, um zu versuchen, Garantien zu erlangen, die die
Form einer Besetzung der militärischen Verbindungen ?) oder
Ob. Nr. 53. ') Ein derartiges Expos& für den Präsidenten der
Republik ist im Gib. nicht enthalten. Das Gib. bringt aber unter dem 29.
Juli als Stück Nr. 85 ein Zirkulartelegramm Bienvenu-Martins an die
Botschafter in St. Petersburg, London, Berlin, Rom, Konstantinopel,
Belgrad, das dieselben Ausführungen aufweist und zum Teil identisch
ist mit dem von Iswolskp resümierten Expos&.
.. 5) Gib. 85 bringt an Stelle dieser aussergewöhnlichen und diplo-
matisch ungeheuerlichen Erklärung des österreichischen Schrittes die
einleitenden Worte: «Die österreichisch-deutsche Haltung präzisiert
sich. Oesterreich, das die slawische Propaganda beunruhigt, ergriff
Frankreich
will nicht neu-
tral bleiben.
Ein tendenziö-
ses Expose für
den Präsiden-
ten der Repu-
blick.