Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

29. Juli 249 
  
  
Der englische Staatssekretär des Aeusseren, Sir Edward Grey, 
  
an den englischen Botschafter in Berlin, Sir E. Goschen. 
Blaubuch Nr. 88. 
  
London. 
Ich teilte dem deutschen Botschafter heute nachmittag 
die mir zugekommene Nachricht mit, dass Russland seine Mo- 
bilisation der deutschen Regierung mitgeteilt habe. Ich 
sprach ihm ebenfalls von der Mitteilung, welche Graf Bencken- 
dorff gemacht hatte, dass die österreichische Kriegserklärung 
offensichtlich jede direkte Verhandlung zwischen Russland 
und Oesterreich aussichtslos mache. Ich sagte, dass die von 
der Deutschen Regierung gestern auf solche direkte Verhand- 
lungen gebaute Hoffnung heute geschwunden sei. Heute ar- 
beite der Reichskanzler im Interesse einer Vermittlung in 
Wien und St. Petersburg. Wenn er Erfolg habe, sei alles gut. 
Wenn nicht, so sei es wichtiger denn je, dass Deutschland mei- 
nen Vorschlag, den ich heute morgen dem deutschen Botschaf- 
ter unterbreitete, annehme und eine Methode vorschlage, mit 
deren Hilie die vier Mächte für die Erhaltung des europäischen 
Friedens arbeiten könnten. Ich wies aber darauf hin, dass die 
russische Regierung, obschon sie eine Vermittlung wünsche, 
die Einstellung militärischer Massnahmen gegen Serbien zur 
Bedingung mache, da sonst eine Vermittlung (die Angelegenheit 
in die Länge ziehen und Oesterreich-Ungarn Zeit gewähren 
würde, Serbien niederzuwerfen. Es sei nun freilich zu spät, 
alle militärischen Operationen gegen Serbien einzustellen. In 
kurzer Zeit, so dachte ich, würden die österreichisch-ungari- 
schen Truppen in Belgrad sein und einen Teil serbischen Ge- 
bietes besetzen. Aber selbst dann wäre es noch möglich, irgend 
eine Vermittlung zu verwirklichen, wenn Oesterreich-Ungarn, 
während es erkläre, das von ihm bereits besetzte Gebiet zu 
behalten, bis es von Serbien vollständig befriedigt sei, ver- 
spreche, dass es nicht weiter vorrücken werde, bis die Mächte 
einen Versuch gemacht hätten, zwischen ihm und Russland zu 
vermitteln.') 
Der deutsche Botschafter bemerkte, dass er meine ihm 
heute morgen gemachten Mitteilungen bereits nach Berlin 
telegraphiert habe. 
Bib. Nr. 88. ') Grep steht in seiner theoretischen Auffassung 
der Lage ständig Deutschland und Oesterreich-Ungarn sehr nahe, wie 
diese Anregung zeigt, dass selbst bei einer Besetzung Belgrads ver- 
handelt werden soll. Aber Russland gegenüber vertritt er keineswegs 
seine Auffassung, und obgleich Russland das Gegenteil von dem tut, 
was Grey hier und anderswo vorschlägt, weist er nicht die Verant- 
wortung dafür von sich, sondern nimmt sie ruhig hin. 
17 
Grey kommt 
auf seinen Ver- 
mittlungsvor- 
schlag zurück. 
Selbst nach der 
Besetzung Bel- 
grads kann 
vermittelt 
werden.
	        
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