Sasonow rech-
net mit dem
unvermeid-
lichen Krieg.
Viviani sast
ihm volle Er-
füllung der
Bundespflicht
ZU.
260 30. Juli
Der französische Ministerpräsident und Minister des Aeusseren,
Viviani, an die französischen Botschafter in St. Peters-
burg und London.
Gelbbuch Nr. 101.
Paris.
Herr Iswolsky kam heute nacht zu mir und sagte, dass
der deutsche Botschafter Herrn Sasonow den Entschluss sei-
ner Regierung notifiziert habe, ihre Streitkräfte zu mobili-
sieren, wenn Russland nicht seine militärischen Vorbereitun-
gen einstelle.
Der Minister des Aeusseren des Zaren macht darauf auf-
merksam, dass diese Vorbereitungen erst infolge der Öster-
reichischen Mobilisierung von acht Armeekorps und der Wei-
gerung dieser Macht, ihren Konflikt mit Serbien friedlich zu
lösen, begonnen worden sei. Herr Sasonow erklärt, dass
unter diesen Umständen Russland seine Rüstungen beschleu-
nigen und den bevorstehenden Krieg ins Auge
fassenmüsse, dass Russland auf die Bundes-
hilfe Frankreichs rechne und es als selbstverständ-
lich erachte, dass Englandsich, ohne Zeitzuver-
lieren, Russland und Frankreichanschliesse.
Frankreich ist entschlossen, alle seine
Bundespflichten zu erfüllen.‘)
Frankreich wird übrigens keine Bemühung für die Lösung
des Konfliktes im Interesse des allgemeinen Friedens vernach-
lässigen. Die unter den weniger interessierten Mächten einge-
leitete Unterhaltung lässt hoffen, dass der Friede noch be-
wahrt werden könne; ich halte es daher für angebracht, dass
Russland bei den Massregeln der Vorsicht und Verteidigung,
die Russland für nötig hält, nicht sogleich Dispositionen treffe,
die Deutschland den Vorwand zu einer gänzlichen oder teil-
weisen Mobilmachung liefern könnten.
Der deutsche Botschafter kam gestern am späten Nach-
mittag, um mit mir von den militärischen Massregeln zu spre-
chen, welche die Regierung der Republik vornehme, indem er
hinzufügte, dass Frankreich das Recht habe so zu handeln,
Gib. Nr. 101. ') Auf die Mitteilung hin, dass Russland weiter
rüsten, d. h. zur allgemeinen Mobilmachung schreiten und den Krieg
als bevorstehend ins Auge fassen müsse, versucht Viviani nicht, Russ-
land irgendwie zu beschwichtigen, sondern antwortete mit der ermun-
ternden Erklärung, dass es unbedingt seine Bundespflicht erfüllen wird.
Das war die Friedensaktion, deren Viviani sich später rühmte.
Was die Motivierung der russischen Mobilmachung betrifft, er-
übrigt es sich, hier von Neuem auf die falschen Angaben Sasonows
einzugehen.