30. Juli 273
unter welchen Bedingungen Russland demobilisieren würde.
Die Antwort lautete, dass Russland bereit sei, zu demobilisie-
ren, wenn Oesterreich-Ungarn versichere, dass es die Sou-
veränität Serbiens achten und gewisse von ihm an Serbien
gestellte und von diesem nicht angenommene Forderungen
zum Gegenstand internationaler Verhandlungen mache.)
Der Präsident glaubt, dass Oesterreich-Un-
earn diese Bedingungen nicht annehmen
werde. Er ist der Ueberzeugung, dass der Friede zwischen
den Mächten in Englands Händen liegt. Wenn Seiner Majestät
Regierung erklären würde, dass England Frankreich zu Hilfe
kommen wird im Falle eines Konfliktes zwischen Frankreich
und Deutschland als Folge der gegenwärtigen Schwierigkeiten
zwischen Ossterreich-Ungarn und Serbien, so käme es zu kei-
nem Kriege, da Deutschland sogleich sein Verhalten ändern
würde. ?)
Ich erklärte ihm, wie schwer es für Seiner Majestät Re-
gierung sein dürfte, eine solche Erklärung abzugeben, aber er
sagte, er bleibe dabei, dass sie im Interesse des Friedens er-
folgen müsse. Frankreich, sagte er, sei friedlich. Es wünsche
keinen Krieg, und alles, was es bisher getan habe, bestände in
Vorbereitungen für die Mobilisation, um nicht überrascht zu
werden. Die französische Regierung werde der unsrizen alles
ınitteilen, was in dieser Richtung weiter geschähe. Zuverläs-
sigen Nachrichten zufolge sollen die deutschen Truppen in
Diedenhofen und Metz zusammengezogen worden und kriegs-
bereit sein. Wenn ein allgemeiner Krieg auf dem Festlande
ausbräche, würde England unvermeidlich hineingezogen wer-
den zum Schutze seiner Lebensinteressen. Eine jetzt erfolgende
Erklärung des Inhalts, dass Grossbritannien Frankreich, wel-
ches den Frieden wünsche, zu unterstützen beabsichtige, würde
Deutschland sicherlich daran hindern, in den Krieg zu ziehen.
Bib. Nr. 99. ') Der Präsident der Republik berichtet den Inhalt
der russischen Formel durchaus falsch, indem er ihn stark mildert.
Siehe Ob. 60, Bib. 97, Gib. 104, wo die Formel übereinstimmend dahin
geht, dass Oesterreich 1. den europäischen Charakter des öster-
reichisch-serbischen Konfliktes anerkenne und 2. die für Serbien un-
annehmbaren Punkte ohne weiteres streichen soll, was Präsident Poin-
care zu der obigen ganz harmlosen Formel abändert.
*) Dieser Passus ist höchst charakteristisch: Präsident Poincare
ist von vornherein davon überzeugt, dass die Formel (selbst in ihrer
gemilderten Form) von Oesterreich-Ungarn abgelehnt wird. Nichts
liegt näher, als dass Poincare Russland eine andere Formel anrät, wie
wenigstens England es tat, wie wir sehen werden. Nein, Poincare
weiss, dass Oesterreich-Ungarn diese Formel ablehnen wird und dann
der Krieg entstehen muss. Anstatt einer versöhnlichen Formel schlägt er
. .. eine englische Drohung an Deutschland vor! England möge Deutsch-