30. Juti 281
Anlage 2 zu Blaubuch Nr. 105.
Herr Paul Cambon an Sir Edward Grey.
London, den 23. November 1913.
Lieber Sir Edward Grey.
Durch Ihren gestrigen, vom 22. November datierten
Brief haben Sie mich daran erinnert, dass in den letz-
ten Jahren die Armee- und Marinebehörden Frank-
reichs und Grossbritanniens sich von Zeit zu Zeit be-
sprochen haben ; dass es stets als abgemacht galt, dass
diese Besprechungen nicht die Freiheit für jede Regierung
einschränken sollten, in Zukunft zu beschliessen, ob sie ein-
ander die Unterstützung ihrer bewaffneten Macht leihen wür-
den, und (dass beiderseitig diese Besprechungen von Fach-
leuten keine Verpflichtung bildeten und nicht als Verpflichtun-
gen angesehen werden sollten, die unsere Regierungen zwän-
gen, in gewissen Fällen zu handeln; dass immerhin ich Ihnen
hervorgehoben habe, dass, wenn eine der beiden Regierungen
schwerwiegende Gründe hätte, einen nicht provozierten An-
griff seitens einer dritten Macht zu befürchten, es wichtig
wäre zu erfahren, ob sie auf den bewaffneten Beistand der
anderen rechnen Könne.
Ihr Brief beantwortet diese Bemerkung, und ich bin er-
mächtigt, Ihnen zu erklären, dass im Falle eine der beiden Re-
gierungen ernstlich Grund hat, entweder den Angriff einer
dritten Macht zu befürchten oder irgend ein den allgemeinen
Frieden bedrohendes Ereignis, diese Regierung sogleich mit der
anderen prüfen sollte, ob die beiden Regierungen imFinverständ-
nis handeln müssen, um einem Angriff zuvorzukommen oder den
Frieden zu wahren. In diesem Falle sollten die beiden Re-
gierungen über die Massnahmen beraten, welche sie geneigt
wären, gemeinsam zu ergreifen. Wenn diese Massnahmen ein
Vorgehen in sich schliessen sollten, so würden die beiden Re-
gierungen sogleich die Pläne ihrer Generalstäbe in Erwägung
ziehen und dann über die Folge beschliessen, welche diesen
Plänen gegeben werden müsste.')
Bib. Nr. 105. ') Als 3. Anlage liegt dem Dokument Bib. Nr. 105
eine französische Note bei, ein Schreiben Vivianis an Paul Cambon,
über die bedrohlichen militärischen Vorbereitungen Deutschlands. Dieses
Dokument stimmt inhaltlich mit einem Telegramm Vivianis an Paul
Cambon überein, das im Gib. als Nr. 106 angeführt ist. Was diese
Mitteilung an die englische Regierung betrifft, so ist wiederholt fest-
gestellt worden, dass es sich um ein sehr unzuverlässiges Dokument
handelt. So führen u. a. Dr. Karl Helfferich in der erwähnten Schrift und
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