308 31. Juli
folgen muss, falls nicht Russland binnen zwölf Stunden alle
Kriegsmassnahmen gegen uns und Oesterreich einstelle. Die
Mobilmachung bedeutet unvermeidlich Krieg.
Bitte französische Regierung fragen, ob sie in einem
russisch-deutschen Kriege neutral bleiben
will. Antwort muss binnen 18 Stunden erfolgen. Sofort
Stunde der gestellten Anfrage drahten, grösste Eile geboten.')
lich Deutschland zu den Massregeln schreiten würde, die Russland
bereits nach der Mobilmachung gegen Oesterreich erwartet hatte, auf
die aber Deutschland verzichtete, um im Glauben an Englands Unter-
stützung weiter zu vermitteln. Wenn aber alle diese T atsachen noch
nicht genügten, um die russische allgemeine Mobilmachung ins rechte
Licht zu setzen, so frage man in England und Russland selbst an, was
die leitenden Männer von der Bedeutung der russischen Massnahme
dachten: Der Zar nannte am 29. Juli die militärischen Massregeln, zu
denen ihn seine Umgebung verleiten wollte, solche, «ediezumKriege
führen werden», Wb. Anlage 21. Sir Edward Grep nannte Bilb.
Nr. 103 die Einstellung der militärischen Vorbereitungen, die<einzige
Friedensaussicht», die noch bestände. Wenn man diese beiden
Kronzeugen gehört hat, müsste man ohne weiteres davon überzeugt
sein, dass Deutschland nun nichts mehr anderes übrig blieb, als Russ-
land den Krieg zu erklären, wie bereits am 25. Buchanan in St. Peters-
burg angenommen hatte. Aber noch immer tat Deutschland nichts der-
gleichen! Es begnügt sich mit der oben wiedergegebenen Aufforde-
rung an Russland, die Mobilmachung einzustellen, während Kaiser
Wilhelm persönlich in den Zaren drang, dieser Aufforderung nachzu-
kommen. Dass nun Deutschland nach der allgemeinen russischen
Mobilmachung, die nach ihrer Vorgeschichte ja einer russischen
Kriegserklärung an Deutschland gleichkam und nach der in der unge-
heuerlichen Formel, Ob. Nr. 67, kundgetanen Absicht Russlands, zu
keinerlei diplomatischer Lösung mehr die Hand zu reichen, nicht so-
fort den Kriegszustand als gegeben erachtete, sondern noch einmal
versuchte, Russland zur Besinnung zurückzurufen, legt Zeugnis ab
von dem bis auf die Spitze getriebenen Friedenswillen des Deutschen.
Reiches.
Wb. Anlage 25. ') Mit der hier aufgetragenen Demarche in
Paris wurde der französischen Regierung nahegelegt, offen ihre Ab-
sichten zu zeigen. Frankreich hatte bisher alle deutschen Bemü-
hungen, inmitten der Krisis eine deutsch-französische Solidarität auf-
zustellen, die dem österreichisch-russischen Zwist unbedingt seine
Schärfe nehmen musste und das sicherste Mittel zur Aufrechterhaltung
des Friedens gewesen wäre, auf das Schroffste abgelehnt. Wie schroff
Frankreichs Haltung war, konnte die deutsche Regierung damals über-
haupt noch nicht wissen, da ihr die französisch-russischen und fran-
zösisch-englischen Gespräche unbekannt sein mussten. Immerhin stand
die deutsche Regierung jetzt vor der Tatsache der von Russland
drohenden Kriegsgefahr und der französischen Entschlossenheit, un-
bedingt zu Russland zu stehen, das ja seine gefährlichsten Massregeln
erst auf Grund des ermunternden französischen Hilfeversprechens
vorgenommen hatte. Die Anfrage in Paris, ob die französische Re-
publik in einem russisch-deutschen Kriege neutral bleiben werde, war
daher der letzte Versuch, eine Klärung herbeizuführen. Auf jeden Fall
stellt diese Anfrage glatt. und schlicht die Situation hin, die zwischen
Frankreich und Deutschland bestand.