364 5. August
Fortsetzung der Anmerkung Rb. Nr. 59. ?)
Nr. 61) Klage über die Teilnahme Österreichisch-ungarischer Truppen am
deutsch-französischen Kriege. Berchtold dementierte sogleich diese
Beschuldigung (Rb. Nr. 62) am 9. August. Doumergue, der inzwischen
das Portefeuille des Aeusseren übernommen hatte, gab nun vor, dass
österreichisch-ungarische Truppen immerhin auf deutschem Gebiete
ständen und forderte am 10. August den Grafen Szescen auf, Frank-
reich zu verlassen, während er gleichzeitig Dumaine abberief. Berch-
told protestierte, diesmal in London, am 11. August (Rb. Nr. 64) gegen
diese französische Behauptung, die auf keinen Tatsachen beruhe.
Darauf teilte Grey am 12. August (Rb. 65) dem Grafen Mensdorff
eine förmliche Kriegserklärung Frankreichs mit, mit dem Hinzufügen,
dass gen auch England im Kriegszustande mit Oesterreich-Ungarn
efinde.
Dieser Sachverhalt hat an und für sich keine Bedeutung, weshalb
hier auf die wörtliche Wiedergabe der zitierten Akten verzichtet werden
kann. Es war selbstverständlich,h dass nach Ausbruch des Krieges
zwischen Deutschland einerseits und ‚Russland, Frankreich, England
andrerseits auch der Kriegszustand zwischen den Mächten des Drei-
verbandes und Oesterreich-Ungarn herbeigeführt wurde. Für die Vor-
geschichte des Krieges haben diese österreichisch-ungarischen Akten
aber insofern eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, als sie von
Neuem die Stellung Englands zu den Kriegsverhandlungen scharf be-
leuchten. Am 4. August, nach Ueberreichung des englischen Ultimatums
an Deutschland, erklärte Grep dem österreichisch-ungarischen Bot-
schafter in London, laut Rb.58, <er sehe vorläufig keine Veranlassung
zu einer Mitteilung an diek. und k. Regierung und keine Ursache, mit uns
in Konflikt zu geraten, solange wir nicht im Kriegszustande
mit Frankreich sind». Und er fügte hinzu: Falls Oesterreich-
Ungarn mit Frankreich im Kriegszustande wäre, «würde es für Eng-
land als Bundesgenosse Frankreichs wohl schwer sein, mit
denselben im Atlantischen Meere zu kooperieren und nicht im Mittel-
ländischen Meer>. Und am 12. August, als Grey dem Grafen Mensdorff
die oben erwähnte französische Mitteilung machte und gleichzeitig
Oesterreich-Ungarn den Krieg erklärte, bediente er sich folgender Moti-
vierung: «Da der Bruch mit Frankreich auf diese Weise herbeigeführt
worden ist, sieht sich die grossbritannische Regierung genötigt, zu er-
klären, dass der Kriegszustand zwischen Grossbritannien und Oester-
reich-Ungarn von Mitternacht an besteht>. Rb. Nr. 65. — Mit anderen
Worten: England erklärte an Oesterreich-Ungarn den Krieg als Bundes-
genosse Frankreichs, ohne die Neutralitätsverletzung Belgiens zu er-
wähnen. Die belgische Neutralität konnte es in der Tat diesmal nicht als
Vorwand benutzen, ‘da diese nicht von Oesterreich-Ungarn verletzt
worden war. Es erklärte auch nicht den Krieg infolge eines durch die Um-
stände geschaffenen, erst seit Kriegsbeginn bestehenden Bündnisses
mit Frankreich, denn dann hätte England nicht erst des Umweges über
die komplizierte französische Kriegserklärung bedurft, sondern sich
einfach auf den zwischen Oesterreich-Ungarn und Russland bestehen-
den Kriegszustand berufen können. Das geschah aber in keiner Weise.
Den österreichisch-russischen Krieg zog Grey nicht in sein Spiel hin-
ein. Er erklärte also den Krieg an Oesterreich auf Grund seines
früheren, vor dem deutsch-französischen Kriege bestehenden Bun-
desverhältnisses mit Frankreich, und gesteht daher indirekt ein, dass
Deutschland gegenüber das belgische Argument nichts als ein Vor-
wand war.