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das englische Blaubuch würden unsere heutigen Kenntnisse
über die Vorgeschichte des Krieges dagegen recht man-
gelhaft sein. Das liegt zum grossen Teile daran, dass sich
die englische Politik zunächst abwartend verhielt und äus-
serlich unbeteiligt die Vorgänge registrierte. Es rührt aus-
serdem daher, dass Russland und Frankreich in ihrem Be-
mühen, England auf ihre Seite zu ziehen, und Deutschland
und Oesterreich-Ungarn in der Ueberzeugung, dass Eng-
land als unabhängiger, durch keinerlei Verpflichtungen ge-
bundener Staat über den Parteien stehe und unbedingt ver-
mittelnd wirken wolle, einen jeden ihrer Schritte in London
ausführlich darlegten. Das Kabinett Sir Edward Greys war
der Mittelpunkt der Verhandlungen. In ihm liefen alle Fäden
zusammen. Es war gleichsam das Vorzimmer des Welt-
krieges. Die Aktenstücke, die über die Massnahmen der
andern Mächte Aufschluss geben, sind daher im Grossen
und Ganzen als zuverlässig zu betrachten. Erst mit dem
Augenblicke, da England deutlicher aus seiner Passivität
hervortritt, trübt sich das Bild. Die englischen Initiativen
werden nur kurz berichtet oder verschwiegen. Ueber die
Tätigkeit der englischen Diplomatie in Paris und St. Peters-
burg wird bei weitem nicht so viel berichtet wie über die
Tätigkeit in Berlin, und über Englands Schritte in Belgrad
wird mit wenigen Ausnahmen dichtes Schweigen gebreitet.
Nichtsdestoweniger aber macht das Blaubuch nicht den Ein-
druck eines blossen Vertuschungs- und Beschönigungsver-
suches. Wer es aufmerksam liest, wird darin eine Darstel-
lung der englischen Politik finden, die durchaus nicht zu
den Ministerreden passt. Die hier und da auftauchende un-
freundliche Kritik gewisser deutscher Diplomaten, z.B. der
deutschen Botschafter in Wien und St. Petersburg, vermag
diesen Eindruck nicht abzuschwächen, schon deshalb nicht,
weil derartige aggressive Bemerkungen erst von dem Augen-
blicke ab angewandt werden, in dem der Leser die deutsch-
feindliche Haltung der englischen Diplomatie schon längst
unzweifelhaft erkannt hat.
Es darf daher nicht verwundern, wenn das einleitende
Expose und die Parlamentsreden durchaus nicht auf den