Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

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Ansichten scheinen keineswegs aus den besonderen Um- 
ständen der Krisis erwachsen zu sein, sondern es sind vor- 
gefasste Ansichten, die Ansichten der meisten Franzosen in den 
letzen Jahren vor dem Kriege, es sind die Ansichten, die man 
ständig in der französischen Presse lesen konnte: sie ent- 
springen der unbedingten Ueberzeugung, die nicht nachgeprüft 
wird, dass Deutschland der Feind Frankreichs sei, dass Deutsch- 
land einen Krieg wolle, dass Frankreich unter keinen Um- 
ständen irgendwie mit Deutschland zusammengehen könne. 
Dazu gesellen sich einige politische Gemeinplätze, 
die man in französischen Leitartikeln hundertmal fand, die 
aber hier von Berufsdiplomaten, auf deren Ansicht doch 
das Schicksal ihres Vaterlandes beruht, ohne weiteres als 
grundlegende Wahrheiten wiedergegeben wurden: 1. Oester- 
reich-Ungarn ist als ein dem Verfall geweihter Staat anzu- 
sehen, dessen Völker nur den Augenblick erwarten, um 
sich der Habsburger Herrschaft zu entziehen; 2. Russland 
hat das unbedingte Recht, die slawischen Völker zu bevor- 
munden und jeden Eingriff in dieses Recht als Bedrohung 
und Kriegsgrund anzusehen; 3. die österreichische Politik 
wird nicht in Wien, sondern in Berlin gemacht. Und darüber 
hinaus herrscht endlich die felsenfeste Einbildung, dass alle 
Politik der Welt sich nur um den deutsch-französischen 
Gegensatz dreht: Wenn Serbien durch Oesterreich-Ungarn 
eingeschüchtert wird, so heisst das nur, dass Deutschland 
Frankreich niederwerfen will. Viviani stand völlig auf dem 
Boden dieser Geschichtsphilosophie des Gelbbuches, als 
er in der zweiten Kriegstagung des französischen Parla- 
mentes im Dezember den gewaltigen Weltkrieg, der doch 
in seinen Anlässen gar nichts mit Frankreich zu tun hatte, 
als eine deutsche Unternehmung zur Zerschmetterung Frank- 
reichs bezeichnete. Und all diesen zahlreichen Privatmei- 
nungen stehen leider nur wenig wirklich sachliche Berichte 
gegenüber. Es sind Stimmungsbilder und Stimmungsaus- 
brüche, die in einem Ton heftigsten Misstrauens und fin- 
sterer Entschlossenheit übermittelt wurden und denen nur 
ein Vorzug zuerkannt werden muss: sie sind leserlich, klar 
und flüssig geschrieben.
	        
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