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Zuletzt unter den Grossmächten gab Oesterreich-Un-
garn der Oeffentlichkeit seine Akten über den Kriegsaus-
bruch preis. Erst im Februar des Jahres 1915 erschien das
österreichisch-ungarische Rotbuch. Es führt den Titel:
<K. und k. Ministerium des Aeusseren-Diplomatische Akten-
stücke zur Vorgeschichte des Krieges 1914 >. Gleichzeitig ver-
öffentlichte die österreichisch-ungarische Regierung eine hand-
liche Volksausgabe des Rotbuches, die sich von der ur-
sprünglichen Ausgabe nur dadurch unterscheidet, dass sie
mit einer erklärenden Einleitung versehen ist und die wenigen
in englischer oder französischer Sprache abgefassten Doku-
mente in der Uebersetzung bringt. Das Rotbuch enthält
69 Stücke und reicht vom 29. Juni bis zum 24. August 1914
Das späte Erscheinen dieser Aktensammlung mochte
befremden, und es ist in der Tat nicht klar, warum die öster-
reichisch-ungarische Regierung über sechs Kriegsmonate
verstreichen liess, ehe sie dem Beispiel der anderen Mächte
folgte. Der Vorwurf allerdings, den man an das späte Er-
scheinen des Gelbbuches Knüpfen konnte, dass nämlich bis
zu jenem Augenblicke die französische Oeffentlichkeit über
keinerlei Aktenmaterial zur Beurteilung der diplomatischen
Ereignisse vor dem Kriege verfügte, lässt sich nicht auf den
Fall des Rotbuches übertragen. Für Oesterreich-Ungarn war
der Krieg vornehmlich ein österreichisch-serbischer Krieg
mit den daraus erwachsenen Folgen. An Aktenmaterial über
den Ursprung des österreichisch-serbischen Krieges aber
hatte es von Anbeginn an nicht gefehlt. Das Dossier der
österreichisch-ungarischen Regierung d. h. die Ergebnisse der
Untersuchung über die grosserbische Propaganda und die
politische Vorgeschichte der Mordtat von Serajewo waren
zu ihrer Zeit veröffentlicht worden. Auch die einzelnen Noten
über Russlands Intervention und ihre Aufnahme durch
Deutschland und Oesterreich-Ungarn waren der Oeffentlich-
keit bekannt. Und schliesslich war das deutsche Weissbuch,
das ja durchaus dem österreichisch-serbisch-russisch-deut-
schen Streitfall gewidmet war, der österreichisch-ungarischen
Oeffentlichkeit in demselben Masse zugänglich wie der
deutschen. Die Vorgeschichte des Krieges war in der Tat