Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

6. Juli 71 
  
zum Ausdruck bringen sollen, müssen als bitterste Ironie auf 
den wirken, der Gelegenheit hatte, in den jüngst verflossenen 
Tagen in nächster Nähe Einblicke in das Gefühlsleben der 
serbischen intelligenten Bevölkerung zu gewinnen. 
Der Gefertigte hatte am Tage des Attentates gegen 9 Uhr 
abends ohne Ahnung noch vom Geschehenen ein hiesiges 
Gartenkaffee besucht und wurde hier zuerst von einem Be- 
kannten über das ganz bestimmt aufgetretene Gerücht in 
Kenntnis gesetzt. Es war eine Pein sondergleichen zu beob- 
achten und zu hören, wie eine förmlich fröhliche Stimmung 
die zahlreichen Gäste des Lokales erfasst 'hatte, mit welcher 
ersichtlichen Genugtuung man über die Tat debattierte und 
wie Ausrufe der Freude, des Hohnes und Spottes 
aufflatterten — selbst den an Ausbrüche des hier herrschenden 
politischen Fanatismus seit langem Gewiöhnten mussten diese 
Wahrnehmungen aufs äusserste deprimieren. 
Der französische Botschafter in St. Petersburg, Pal&ologue, 
  
an den französischen Ministerpräsidenten, Viviani. 
Gelbbuch Nr. 10. 
  
St. Petersburg. 
Im Verlaufe einer Unterhaltung, die er mit dem öster- 
reichisch-ungarischen Geschäftsträger herbeiführte, wies Herr 
Sasonow freundschaftlich auf die beunruhigende Irritation hin, 
die durch die Angriffe der österreichischen Presse gegen Ser- 
bien in seinem Lande hervorgerufen werden könne. 
Als Graf Czernin') zu verstehen gab, dass die österrei- 
chische Regierung vielleicht gezwungen sei, die Anstifter des 
Attentates von Seraiewo auf serbischem Gebiete zu 
suchen, unterbrach ihn Sasonow, indem er sagte: «Kein Land 
hat mehr als Russland unter auf fremdem Gebiete vorbereiteten 
Attentaten gelitten. Haben wir jemals den Anspruch erhoben, 
gegen ein Land die Massregeln zu ergreifen, mit denen Ihre 
Zeitungen Serbien bedrohen? Betreten Sie nicht die- 
senWeg.»?) 
Möge diese Warnung nicht umsonst sein.?) 
Gib. Nr. 10. ') Oesterreichisch-ungarischer Geschäftsträger in 
St. Petersburg. 
*) Sasonow bedient sich hier eines charakteristischen Sophis- 
mus: Er vergleicht die revolutionären Attentate, die russische Anar- 
chisten im Auslande vorbereiteten, ohne dass jedoch das Ausland 
etwas damit zu tun hatte, mit dem im Interesse des Grosserbentums 
begangenen Attentat. Vergl. auch die ähnliche Wendung des Präsi- 
denten Poincare. Rb. Nr. 4. 
°) Das Rb. enthält kein Dokument über dieses Gespräch Czer- 
nins mit Sasonow. 
Sasonow warnt 
vorösterreichi- 
schenSchritten 
in Serbien.
	        
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