Full text: Staatsbürgerliche Belehrungen in der Kriegszeit. Band 2. (2)

246 Dr. Gertrud Bäumer 
Beratung aber mußte — bei der MNberlastung aller öffentlichen Stellen — 
von sozialpflegerisch erfahrenen freiwilligen Kräften geübt werden. Sie 
war eine gegebene Frauenpflicht. So entstanden in den ersten Tagen des 
August entweder zentrale oder aber — in großstädtischen Derhältnissen — 
auf die Bezirke der Kriegsfürsorge verteilte Zeratungs= und Hilfsstellen, die 
der Bevölkerung täglich offen standen. Bier wurden Anträge auf Kriegs- 
unterstützung aufgenommen, oder doch die Wege dazu gezeigt, die Hilfe der 
verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen (Darlehnskassen, Hauspflege, Kinder= 
horte, Säuglingsfürsorge, Tuberkulosebekämpfung usw.) vermittelt, Auskünfte 
aller Art über Fragen der Sozialversicherung, Militär= oder Sivilversorgung 
usw. erteilt. Daran schlossen sich als weitere Aufgaben die Einziehung der 
Ermittlungen über alle Kriegsunterstützungsgesuche und sonstigen Notfälle 
und die Teilnahme an den Beratungen der städtischen Kommissionen, in 
denen über die Unterstützungsfälle beschlossen wurde. Uberall sind die 
Frauen Mitglieder dieser Kommissionen; zum Teil entscheiden sie auch selb- 
ständig. Als die Gemeinden später Arbeitslosenunterstützungen einführten, 
dehnte sich der von den Frauen geleistete Ermittlungsdienst auf diese aus. 
Die Einführung von Mieteinigungsämtern und von Mietzuschüssen führte 
dazu, daß auch hier Ermittlungen, persönliche Derhandlungen mit Mietern 
und Hauswirten, Uberwachung der Derwendung der Suschüsse usw. nötig 
wurden und der weiblichen Kriegshilfe ein neues Arbeitsgebiet erwuchs. 
Um diesen umfassenden Beratungsdienst zu leisten, mußten die Frauen 
imstande sein, sich in das ganze System der staatlichen und gemeindlichen 
Derordnungen und Regelungen der Kriegsfürsorge einzuarbeiten, sie mußten 
den Uberblick über die bestehenden Einrichtungen mit der Fähigkeit ver- 
binden, für jeden Einzelfall das Richtige zu finden. Sie mußten Ausdauer 
und LTiebe, bureaukratisches Hflichtbewußtsein mit sozialem Derständnis 
vereinigen. Denn wichtiger noch als die praktische Hilfe, die sie den Rat- 
suchenden leisteten, war ihre Arbeit als ein Band des Dertrauens zwischen 
den einzelnen Gliedern und Schichten des Dolkes, und als eine Guelle des 
Trostes, der Beruhigung und Srversicht für alle diejenigen, die unter dem 
Krieg am meisten zu leiden hatten. Die Frauen, die als Kriegsfreiwillige 
ohne Ferien und Hause Monat für Monat diesen täglichen Dienst leisteten, 
dürfen sich wohl zu denen rechnen, die den großen schweren Kampf mit- 
gekämpft haben. Als Beispiel für den Umfang dieses Beratungsdienstes 
seien die Siffern des Tationalen Frauendienstes Berlin hier angefügt. Der 
Besuch seiner 23 Hilfsstellen begann im August lola mit 10 000 Fällen 
in der Woche, stieg bis Ende September auf 26 000 Fälle, sank dann auf 
etwa 16 000 bis Anfang Januar 1015 und weiter auf etwa 110000 bis 
Anfang März 1015, hob sich dann wieder auf 12—15 000 und blieb seither 
durchschnittlich auf dieser Höhe. 
b) Ernährungsfürsorge. 
Uber den Beratungs= und Ermittlungsdienst hinaus ergab sich aber 
bald nach zwiefacher Richtung die Wotwendigkeit tatsächlicher Bilfe. Es 
stellte sich bald heraus, daß in vielen Fällen die staatliche und gemeindliche
	        
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