Full text: Staatsbürgerliche Belehrungen in der Kriegszeit. Band 2. (2)

254 Dr. Gertrud Bäumer 
Pflicht getan und so die militärische Mauer undurchdringlich gehalten haben, 
so wird man auch die Millionen Frauen vergessen, deren pflichttreue Haus- 
haltführung das Unmögliche möglich gemacht und den englischen Aus- 
hungerungsplan vereitelt hat. Und doch kann gerade diese Leistung —— 
in ihrem Gelingen wie in ihrem Dersagen — den kommenden Frauen- 
generationen wie nichts anderes den staatsbürgerlichen Sinn der einfachsten 
Haushaltarbeit bezeugen, und man sollte Sorge tragen, daß dieses Stück Kriegs- 
geschichte den Frauen des künftigen Deutschland ein fruchtbares Erbe werde. 
Als wir im Winter 1014/15 der wirtschaftlichen Einschließung Deutsch- 
lands ins Auge sahen und wußten: jetzt beginnt der wirtschaftliche Heeres- 
dienst des ganzen Volkes — der Millionen und aber Millionen unorganisierter 
einzelner —, da stand wohl in vielen Seelen die bange Frage auf: können 
wir damit rechnen, daß die Mehrzahl des Dolkes zu diesem Dienst geistig 
bereit istd Können wir erwarten, daß die Hausfrauen, die bisher nicht ge- 
wöhnt waren, an den Staat zu denken und ihren Stolz in die möglichst 
gute Dersorgung der eignen Familie setzten, nun auf einmal volkswirtschaft- 
lich fühlen — und handeln lernen? 
Welch eine innere Umwandlung der Zauswirtschaft, die im un- 
begrenzten Mahrungsspielraum des Friedens ihre Bedürfnisse nur nach dem 
Umfange der eignen Mittel berechnete, nur die Geld= nicht aber die Material- 
sparsamkeit kannte (oder diese doch nur als Mittel der Geldersparnis), und 
deren Leiterin überhaupt nicht wußte, wo der Weizen gewachsen war, den sie 
in der Frühstücksseemmel auf den Tisch stellte! Die Hausfrauen mußten in der 
„Dresse“ der Kriegsaufklärung zweierlei lernen: die phvsiologischen Grund- 
lagen ihrer Tätigkeit — denn sie mußten ja umzuschalten und richtig zu er- 
setzen wissen; und die volkswirtschaftlichen Zedingungen — denn sie sollten ihre 
Wirtschaft in Einklang setzen mit der großen Vorratskammer ihres Vater- 
landes. 
Die erste Frage war, wie man diese Aufklärung in die breite Masse 
tragen könnte. Auch für diese Aufgabe mußten die vorhandenen Frauen- 
vereine die Stützpunkte bieten. Sie alle, ob zusammengefaßt in Kriegs- 
hilfsorganisationen oder nicht, machten sich ans Werk. Es wurden Flug- 
blätter in Millionen verbreitet, und Wanderrednerinnen zogen zu Hunderten 
von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und predigten die erteidigung 
gegen den Aushungerungsplan. Es gibt wohl keine Stadt und gewiß nicht 
viele Dörfer, wo diese Rede nicht erklungen, diese Lehren nicht auf schwarz- 
weiß-rot gerahmten Blättern verbreitet wären. „Krieg und Küche“ wurde 
den deutschen Frauen eine vertraute Gedankenverbindung und der Inbegriff 
vaterländischer Hflichten, die Tag um Tag sorgsames Wachdenken und be- 
harrlichen Fleiß erforderten. In Tausenden von Hüchen hing das K--Dlakat 
des Mationalen Frauendienstes: Eßt Kriegsbrot. Kocht die Kartoffeln in der 
Schale. Kauft keinen Kuchen. Seid klug, spart Kett. Kocht mit Kochkiste. Kocht, 
mit Kriegs-Kochbuch. Belft den Krieg gewinnen. 
Die Belehrung der Rednerinnen selbst geschab durch Kriegslehrgänge, 
die im Winter 1015 einmal durch das Ministerium des Innern, ein anderes 
Mal unter Mitarbeit des Landwirtschaftsministeriums durch die an der
	        
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