Full text: Staatsbürgerliche Belehrungen in der Kriegszeit. Band 2. (2)

II. Die Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Verbündeten 47 
Anfange geschaffen, und als es in jener Verkleinerung, die ihm der Kongreß 
gegeben hatte, da war, schulte Rußland ihm vor allem das Offizierkorps. 
Die bulgarische Armee erwuchs in der Hauptsache auf russischen Grund- 
lagen. In jeder Beziehung und von Rußland allein konnte, so schien es 
in den ersten g0 er Jahren, die Sukunft kommen, die man in Bulgarien 
in der Wiederherstellung eines selbständigen bulgarischen Staats sah, und 
zwar eines bulgarischen Staats, der natürlich Ostrumelien und von Maze- 
donien alles umfaßte, was bulgarisch war. 
So muß man mit der gebotenen geschichtlichen Ehrlichkeit die Grund- 
lage herausarbeiten, um die Beziehungen zwischen Deutschland und 
Bulgarien richtig beurteilen zu können. Es ist hier anders als mit unseren 
Beziehungen zur habsburgischen Monarchie. Die Entwicklung Zulgariens 
hat sich bis in die letzten Jahrzebnte des 10. Jahrhunderts hinein vollzogen, 
ohne daß Deutschland ihm wesentlich Interesse zollte, und weder geistige noch 
politische Zeziehungen erheblicherer Art waren vorhanden. 
II. Die Entwicklung Bulgariens seit dem Berliner Kongreß (1828). 
a) Die Abkehr von Rußland unter Alexander von Battenberg 
und Stambulow. 
1. Ist nun deshalb die in dem Septembervertrag 1015 geschaffene Bünd- 
nisbeziebhung durch den Gufall gegeben, durch den momentanen Vorteil etwa 
des Weltkrieges veranlaßtd Das ist auf der anderen Seite gleichfalls nicht 
richtig. Das wesentliche in der Geschichte BZulgariens zwischen dem Berliner 
Kongreß und dem September 1015 ist doch dieses, daß, wie es mit ZRecht 
jetzt im Weltkrieg ausgedrückt worden ist, Rußland selbst das Werk 
Alexanders II., das in der Befreiung Bulgariens von der Türkei bestand, 
zerstört hat. Auch damals hat Rußland die Bulgaren nicht um ihrer selbst 
willen befreien wollen oder weil es sich um Brüder slawischer Mationalität, 
Sprache und griechischer Religion handelte, sondern die russische Holitik 
wollte sich in diesem Bulgarien einen Vasallenstaat schaffen, mit dem sie 
immer stärker und stärker auf die Türkei drücken konnte, bis ihr Konstantinopel 
wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen wäre. Dergegenwärtigen wir 
uns die politischen Derhältnisse der 80er und h0er Jahre, so müssen wir 
heute sagen, daß nach menschlichem Ermessen Rußland dieses Siel erreicht 
hätte, wenn es verstanden hätte, diese Holitik ruhig, schonend, vorbedacht 
und ohne Gewaltsamkeit durchzuführen, so wie es seine Holitik in Ostasien 
durchgeführt hat. Das hat es nicht getan. Es hat sich, als die Befreiung 
Bulgariens durchgesetzt war, dort als der Herr gefühlt und benommen. 
Alexander III. ging mit dem Beispiel voran und sah in dem bulgarischen 
Fürsten einen ihm schlechterdings untertänigen Dasallen. Die russischen 
Offiziere, die er nach Sofia zur Ausbildung einer bulgarischen Armee sandte, 
handelten ebenso. Schon damit trieb man im bulgarischen olke die entgegen- 
gesetzten Empfindungen hervor. Aber die russische Holitik verstand es auch 
nicht, die sachlich berechtigten Wünsche des bulgarischen Dolkes zu erfüllen. 
Sie mußten auf die Dereinigung mit Ostrumelien gehen, sie mußten noch mehr
	        
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