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Bundesbevollmächtigter zur Beratung des Verfassungsentwurfs auf den 15. De—
zember nach Berlin abzuordnen sei. Der Fürst erteilte mir die Vollmacht, mit
der ich mich rechtzeitig nach Berlin begab. Ich fand die vorsitzenden Minister
sämtlicher norddeutschen Staaten anwesend. Am 15. Dezember waren die Be-
vollmächtigten zur königlichen Tafel befohlen. Wir wurden zunächst in den vor
dem Arbeitszimmer des Königs belegenen bekannten Fahnensaal geführt, in den
der König eintrat und mit unverkennbarer Befangenheit eine Ansprache hielt,
worin er sich wegen des stattgehabten Krieges und der ausgeführten Annexionen
nahezu entschuldigte und die Notwendigkeit ausführte, den neuen Bund durch
eine Verfassung zu begründen. Er bat, den aufgestellten Entwurf mit Bundes-
freundlichkeit zu prüfen. Der mitanwesende Ministerpräsident Graf Bismarck
schloß daran sofort die Einladung, noch an demselben Abend neun Uhr in dem
Staatsministerium zu einer Sitzung zusammenzutreten. In dieser Sitzung wurde
der Verfassungsentwurf übergeben. Der Inhalt erregte nicht geringe Bestürzung;
die Bevollmächtigten der kleinen Staaten bezweifelten, den Anforderungen des
Entwurfs entsprechen zu können. In der Zeit bis zum 3. Februar 1867
wurde die Beratung vorgenommen. Meine wesentlichen Bedenken gegen die
Vorlage, namentlich gegenüber der Leistungsfähigkeit der kleinen Staaten, trug
ich in einem Bericht vom 28. Januar 1867 dem Fürsten vor und bat für den
wahrscheinlichen Fall, daß dennoch die Verfassung von uns angenommen werden
sollte, um eine Spezialvollmacht zur Genehmigung und Vollziehung. Diese
Vollmacht wurde mir am 30. Januar erteilt. Die Verfassung machte alsdann
die weiteren notwendigen Stadien durch; sie wurde am 25. Juni verkündigt
und trat am 1. Juli in Kraft. Fürst Günther war am 25. Juni gestorben
und am 1. Juli beigesetzt worden. Er erlebte damit nicht mehr die Geltung
der Verfassung und der am 20. Juni abgeschlossenen Militärkonvention. Seine
Abneigung gegen Preußen war dieselbe geblieben. Noch kurz vor seinem Ab-
leben hatte er geäußert: „Lieber ins Grab als die preußische Uniform anlegen!"
Ueber seine Thätigkeit im Bundesrat hat der Minister v. Bertrab die
nachstehenden Aufzeichnungen hinterlassen:
„Nach der Einführung der Verfassung folgte die Bildung des Bundesrats
und seiner Ausschüsse. Ich wurde Mitglied der Ausschüsse für die Geschäfts-
ordnung und für Justizwesen; ich habe den ersten schriftlichen Bericht erstattet,
den ersten Vortrag gehalten und bin in den ersten Jahren bis zum Kriege 1870
vielfach und lange in Berlin beschäftigt gewesen. Als infolge des Krieges gegen
Frankreich das Reich entstand und die großen süddeutschen Staaten in den Bund
eintraten, änderte sich die Scenerie. Die Süddeutschen gewannen die Oberhand,
überdies war es den Ministern nicht möglich, so oft und so lange in Berlin
zu verweilen, und damit nahm meine aktive Teilnahme an den Bundesrats-
arbeiten immer mehr ab. Auch hatte mir der Kulturkampf und die durch den-