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selben hervorgerufene Mißstimmung, auch ein Gefühl von Mißtrauen den
Aufenthalt in Berlin verleidet.
„Von Beginn meiner ministeriellen Thätigkeit an habe ich mir besonders
angelegen sein lassen, gemeinsame thüringische Interessen zu pflegen und zu
fördern und zu jeder Zeit eine Beteiligung meiner Regierung an gemeinsamen
Einrichtungen herbeizuführen. Ich ging dabei Hand in Hand mit meinem
hochverehrten Freund und Kollegen v. Watzdorf in Weimar, dem Begründer
der thüringischen Gerichtsgemeinschaft, und fand gleiche Gesinnungen und Be-
strebungen auch bei unseren gemeinsamen Freunden und Kollegen v. Seebach
in Gotha, v. Gerstenberg in Altenburg und v. Harbou in Gera. Unsere lang-
jährigen freundschaftlichen Beziehungen sind den Interessen der von uns
vertretenen Regierungen sehr förderlich gewesen, und in Berlin wurde unser
treues Zusammengehen vielfach bemerkt und anerkannt. Die acht thüringischen
Regierungen führen im Bundesrat acht Stimmen, diese fallen schwer ins Ge-
wicht. Es war von größter Wichtigkeit, sie zusammenzuhalten, um Zersplitte-
rungen zu verhüten. Deshalb verabredeten wir gleich nach Einsetzung des
Bundesrats, daß im Laufe der Sitzungen stets zwei thüringische Minister in
Berlin anwesend sein und die thüringischen Stimmen führen sollten. Außerdem
hatten wir einen gemeinsamen Vertreter in der Person des damaligen groß-
herzoglich hessischen Gesandten. Leider wurde die Verabredung nicht konsequent
durchgeführt. Ich war noch am häufigsten und längsten in Berlin, im Jahre
1867 etwa sechs Monate, im folgenden Jahre vier bis fünf Monate. Im
Herbst 1870 starb Watzdorf. Dadurch wurde das thüringische Zusammengehen
sehr erschüttert, ich betonte bei jeder Gelegenheit die politische Wichtigkeit des
Zusammenhaltens, ich empfahl die Bestellung eines in Berlin zu domizilirenden
ständigen Vertreters und zeigte mich selbst nicht abgeneigt, die Stellung mit
angemessener Dotirung zu übernehmen. Im Herbst 1871 wurde mir das Amt
von sämtlichen thüringischen Regierungen in einer Konferenz in Berlin förmlich
angetragen. Die sämtlichen Souveräne hatten sich mit meiner Person einver-
standen erklärt. Ich bat um Bedenkzeit bis zum Schluß des Jahres. Bevor
diese abgelaufen war, erhielt ich durch Vermittlung des Ministers v. Seebach
die Mitteilung, daß man in Weimar plötzlich anderer Ansicht geworden sei und
den Zeitpunkt für die Bestellung einer bleibenden gemeinsamen Vertretung im
Bundesrat noch nicht für gekommen erachte. Der Grund dieser Sinnesänderung
lag klar auf der Hand: der Kulturkampf war ausgebrochen, und Weimar trug
Bedenken, die Vertretung durch einen Katholiken führen zu lassen. Dies aus-
zusprechen wagte man freilich nicht, man schrieb nicht einmal direkt an mich,
sondern bestimmte Herrn v. Seebach dazu! Die anderen Regierungen, nament-
lich Meiningen und Altenburg, sprachen sich sehr scharf über dieses weimarische
Verhalten aus. Die Sache war aber erledigt und wahrscheinlich zu meinem
Heil. Es wäre mir zweifelhaft geworden, ob ich mit meiner großen Familie