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Seebach stand mit seiner Ansicht keineswegs vereinzelt da; dieselben Ge-
fühle und Empfindungen drängten sich auch den Gesandten der anderen Bundes-
staaten auf. Wir sehen dies am besten aus dem literarischen Nachlaß des Staats-
ministers Dr. Sintenis. Der letztere hat keine Memoiren im gewöhnlichen Sinne
des Wortes hinterlassen, dagegen war er sich, als er von seinem Herzog damit
betraut wurde, als Vertreter Anhalts bei der Festsetzung des Norddeutschen
Verfassungsentwurfs mitzuwirken, der Bedeutung dieses Kommissoriums sofort
bewußt und berichtete während seines ganzen Berliner Aufenthaltes den Seinigen
alles, was dieselben nur irgendwie interessiren konnte.
Mit Hilfe aller guten Wünsche zur glücklichen Reise kam Sintenis am
12. Dezember 1866 „ohne Anstoß" in Berlin an und fand im „Hotel de
Russie“ das bestellte Quartier zur Befriedigung vor. Noch am selben Tage
gibt er eine Beschreibung desselben und dann Tag für Tag eine Schilderung
aller seiner Erlebnisse. Er berichtet über Temperatur und Wetter, wie er
geschlafen, wo er gespeist, wie viel er verzehrt, wenn er tags über gesprochen
hat, und all die Anfechtungen, denen seine Gesundheit bei dem Mangel des
häuslichen Komforts ausgesetzt gewesen ist. Weitaus der größte Teil der Korre-
spondenz wird aber durch seine politischen Erlebnisse ausgefüllt, sowie durch
eine Beschreibung einiger offiziellen Festlichkeiten, die ihn mit den verschiedensten
politischen Persönlichkeiten in Berührung brachten.
Wie wir sehen werden, beklagte sich Sintenis bitter darüber, daß die
Bevollmächtigten oft wochenlang in Berlin unthätig dasitzen mußten, daß sie
von Preußen nicht mit der ihnen gebührenden Rücksicht behandelt würden, und
daß Preußen schließlich ihre Vota nur insoweit berücksichtigte, als ihm dies gut
dünkte. Ich möchte hier vorweg bemerken, daß Preußen die Absicht, die Ver-
treter der Bundesstaaten zu verletzen, jedenfalls ganz fern gelegen hat. Wenn
die Verhandlungen schleppend geführt wurden und die nach Berlin gesandten
Minister dort ungebührlich lange zum Nichtsthun verurteilt wurden, so lag die
Schuld auch nicht an Bismarck, sondern an Herrn v. Savigny, der, wie mir
auch von anderer Seite versichert worden ist, der Aufgabe eines Leiters der
Ministerkonferenzen entschieden nicht gewachsen war. Die Delegirten übersahen
außerdem sicher den komplizirten Weg, den ihre Desiderien durchzumachen hatten,
bis Savigny im stande war, sich definitiv zu den zahlreichen einzelnen Amen-
dements zu äußern. Erst gingen sie zur Kognition der preußischen Ressort-
minister, dann hatte das Staatsministerium und Bismarck darüber zu befinden,
und demnächst war die Entschließung des Königs einzuholen, der bei seiner
bekannten Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit noch oft Rückfragen stellte und
einzelne Punkte näher aufgeklärt wissen wollte. Ueber alles dies konnten leicht
Wochen vergehen, die allerdings den Ministern der fremden Staaten, denen
die Arbeit zu Hause auf den Nägeln brannte, als ein wahres Martyrium
erschienen.