Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Erster Band. Der Bundesrat des Norddeutschen Bundes (1867-1870). (1)

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dem Bundesrat ein Gesetzentwurf vorgelegt, der sich dem alten preußischen Recht 
in Bezug auf den Unterstützungswohnsitz mit dem Unterschiede anschloß, daß 
derselbe nach dem preußischen Gesetze mit einjährigem resp. dreijährigem Aufenhalt 
erworben wurde, während der Entwurf für den Bund einen zweijährigen 
Aufenthalt festsetzte. Der Entwurf erkannte die Notwendigkeit an, die Armen- 
verbände im ganzen Bundesgebiete als selbständig und gleichberechtigt, abgesehen 
von den Staatsgrenzen, in gesetzlich geregelte Beziehungen zu setzen. Deshalb 
war es unerläßlich befunden, eine oberste Instanz für alle Streitigkeiten zwischen 
Armenverbänden verschiedener Bundesstaaten zu errichten. Als solche wurde 
ein aus fünf Mitgliedern des Bundesrats bestehender ständiger Ausschuß für 
das Heimatswesen in Vorschlag gebracht, dessen Entscheidungen der admini- 
strativen Exekution unterliegen sollten. 
Der besondere Ausschuß des Bundesrats, welchem der Entwurf zur Vor- 
beratung überwiesen worden war, nahm an der Präsidialfrage einschneidende 
Aenderungen vor. Schon über die Frage der Zuständigkeit des Bundes zur 
Regelung der Frage gingen die Ansichten auseinander. Die Majorität hielt 
den Bund nicht für kompetent, die Armenpflege zu ordnen. Dieselbe 
Majorität strich drei Paragraphen, welche von der starken Minorität im Aus- 
schusse (3 gegen 4) sehr vermißt wurden. Einmal die Bestimmung, wonach 
die Gothaer Konvention nicht ferner Anwendung finden sollte. Die Bestim- 
mungen im § 7 des Freizügigkeitsgesetzes sollten fernerhin nur dann Anwendung 
finden, wo in Ermanglung eines zur Versorgung verpflichteten Armenverbands 
derjenige Bundesstaat für die Gewährung der Armenpflege zu sorgen hat, 
welchem der hilfsbedürftige Norddeutsche beim Eintritt der Hilfsbedürftigkeit 
angehört. Die Präsidialvorlage sagte anstatt angehört: „sich aufhält“. Der 
Ausschuß beschloß ferner eine Ergänzung der Erwerbung des Unterstützungs- 
wohnsitzes dahin, daß die Bestimmungen, wonach durch Aufnahme in den 
Gemeindeverband oder Verleihung der Ortsangehörigkeit, sowie durch Eintritt 
in den Staatsdienst der Unterstützungswohnsitz erworben wird, der Landesgesetz- 
gebung vorbehalten bleiben sollten. 
Gegen die im § 13 der Vorlage festgestellte Frist von 2 Jahren für den Erwerb 
des Unterstützungswohnsitzes wurde eingewendet, daß sie zu kurz bemessen sei, und 
auch hier siegten die prinzipiellen Gegner des Entwurfes. Sie gaben nichts 
auf den Einwand, daß eine zu lange Frist das Gesetz illusorisch und entbehrlich 
mache, daß sie das Prinzip der Freizügigkeit beeinträchtige. Auch die Bedenken 
gegen den Vorschlag der Majorität, daß hier nur von selbständigen Personen 
die Rede sein könne, fanden kein Gehör. Die Moajorität legte kein Gewicht 
darauf, daß mit der Ausschließung der Unselbständigen eine sehr häufige und 
sehr wichtige Ausnahme von der Regel konstituirt werde, daß überhaupt der 
Begriff der Unselbständigkeit ein sehr vieldeutiger sei. Die Frist wurde auf 
5 Jahre verlängert. Dagegen hatte der Ausschuß gegen die Bundesinstanz
	        
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