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Besetzung einer Stelle im Oberhandelsgericht.“ Die Bevollmächtigten der
übrigen thüringischen Regierungen traten den Erklärungen des großherzoglich
sächsischen Vertreters bei. Der Bevollmächtigte für Hamburg bemerkte, „daß
seine Regierung besonderen Wert darauf legen müsse, bei der nächsten Besetzung
vakanter Stellen eine Persönlichkeit in das Oberhandelsgericht berufen zu sehen,
welche das Hamburger Handels= und Seerecht zu vertreten geeignet sei."“
Die Bevollmächtigten Oldenburgs und Hessens sprachen im Namen ihrer Regie-
rungen ähnliche Wünsche wegen Berufung eines oldenburgischen und eines
hessischen Juristen in das Oberhandelsgericht aus.
Die Wahl der Mitglieder fand in der Sitzung des Bundesrats vom
18. Dezember 1870 statt. Zu Präsidenten wurden der Geheime Ober-
Justizrat Pape im Justizministerium und der Vizepräsident Drechsler zu Lübeck
gewählt.")
Oberster Bundesgerichtshof für alle Rechtssachen. Als Schach-
zug gegen den Antrag Sachsens auf Errichtung eines obersten Bundesgerichts-
hofes für Handelssachen wurde von dem Bevollmächtigten Hamburgs der Antrag
gestellt, der Bundesrat wolle sich mit der Errichtung eines allen Bundesstaaten
gemeinsamen obersten Gerichtshofes für alle Strafsachen und privatrechtlichen
Streitigkeiten, mindestens aber für letztere einverstanden erklären und das Bundes-
präsidium um Vorlage eines bezüglichen Gesetzentwurfs ersuchen.“)
In der Begründung dieses Antrags wurde darauf hingewiesen, daß durch
die Einsetzung eines obersten Bundesgerichtshofes für Handelssachen den in den
einzelnen Bundesstaaten bestehenden obersten Gerichtshöfen ein mehr oder minder
wesentlicher Teil ihrer Kompetenz entzogen werden und daß diese Entziehung
um so tiefer einschneiden würde, je größer in einem Staat die Zahl der
Handelsstreitigkeiten im Vergleich zu den übrigen Rechtssachen wäre. In den
Hansestädten, in welchen dies Verhältnis wie zwei zu drei stand, müßten die
mit der Einsetzung eines solchen Bundesgerichtshofes verbundenen Nachteile um
so mehr empfunden werden, namentlich aber würde sich überall eine Rechts-
unsicherheit herausstellen, wenn nicht mehr derselbe Gerichtshof für alle An-
gelegenheiten in letzter Instanz zuständig wäre. Um diesen Uebelständen vor-
zubeugen, müsse von einer Trennung der als Handelssachen sich ergebenden
Streitigkeiten von den anderen Rechtssachen gänzlich abgesehen und ein oberster
Gerichtshof für alle Sachen, sowohl des bürgerlichen wie des Kriminalrechts,
mindestens aber für die des bürgerlichen Rechts, errichtet werden.
*) Die Namen der übrigen Gewählten findet man in der „Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung“ Nr. 299 vom 22. Dezember 1869. Vgl. auch das B.-G.-Bl. 1870 S. 27
und 374.
*“) Vgl. den Artikel der „National-Zeitung“: Die Zukunft des höchsten Bundesgerichts,
Nr. 371 vom 12. August 1869.