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Receivers of wreck in Großbritannien, Feststellung der
Thatsachen bei der Strandung deutscher Schiffe. Bisher bestand
in England auf Grund der merchant shipping act vom Jahre 1854 die
Einrichtung, daß wenn ein Schiff in der Nähe der britischen Küste verunglückte,
ein Beamter, der receiver of wreck, die Verhältnisse des Schiffes und die
Umstände, unter welchen das Unglück stattgefunden, prüfte und darüber ein
Protokoll aufnahm. Für nicht englische Schiffe galt dies aber nur, wenn die
Strandung innerhalb dreier Seemeilen von der Küste geschah. Die englische
Regierung hatte durch ihren Berliner Botschafter dem Bundeskanzler den Wunsch
ausgesprochen, daß in Zukunft diese Befugnis des englischen Beamten ausgedehnt
werde auch auf die Schiffe, welche in weiterer Entfernung von der Küste stranden,
da es doch unter allen Umständen notwendig sei, daß solche Erhebungen mög—
lichst schnell nach dem Unglück eintreten. In gleicher Weise hatte die englische
Regierung auch den anderen Regierungen diesen Wunsch ausgesprochen. Der
Bundeskanzler teilte im großen und ganzen die dargelegte Ansicht, erkannte die
Gründe für die Ausdehnung der Befugnis an und hatte deshalb den Bundes-
seestaaten (Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg, Lübeck und Bremen) Mitteilung
davon gemacht mit dem Bemerken, daß eine solche erweiterte Feststellung aller-
dings wünschenswert sei, daß aber vorauszusetzen wäre, die britische Regierung
beabsichtige nicht, einen Staatsvertrag, der eine Kompetenzerweiterung ihrer Be-
amten feststellt, mit dem Norddeutschen Bunde zu schließen, sondern, daß es
ihr nur darauf ankomme, sich gegen etwaige Reklamationen sicher zu stellen.
Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg und Lübeck äußerten sich zu-
stimmend; Bremen aber riet ab, einmal, weil Fälle denkbar wären, wo ein
solches Eingreifen der fremden Behörden den Interessen der deutschen Schiffer
und Rheder nicht entsprechen würde, und dann weil es zweifelhaft sei, ob auf
dem Wege der Gesetzgebung eine ganze Bevölkerungsklasse für gewisse Fälle der
Autorität eines fremden Staates unterworfen werden könne. Bremen schlug
deshalb vor, daß die Sache im Bundesrat zur Beratung komme. Dem ent-
sprechend legte der Bundeskanzler (J. V. Delbrück) am 17. Juni 1869
dieser hohen Körperschaft den Vorschlag der britischen Regierung zur Beschluß-
nahme vor.
In der Sitzung vom 3. Juli 1869 ermächtigte der Bundesrat das Präsi-
dium, der großbritannischen Regierung gegenüber das gewünschte Einver-
ständnis damit auszusprechen, daß die auf Grund der merchant shipping
act fungirenden receivers of wreck oder Friedensrichter befugt seien, die
eidlichen Vernehmungen zur Feststellung der Ursachen von Strandungen
und sonstigen Seeunfällen auch bezüglich derjenigen deutschen Schiffe zu bewirken,
welche außerhalb des dreimeiligen Küstenrayons in den die britischen Inseln
umgebenden Meeren verunglücken, dabei aber die Voraussetzung auszusprechen,
daß solches nur insoweit zu geschehen habe, als die fraglichen Schiffe oder Per-