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Der Justizausschuß erstattete seinen Bericht schon nach wenigen Tagen,
am 31. Mai. Der Referent, Geheimer Ober-Justizrat Pape, resümirte denselben
in folgenden Punkten:
1. Die mecklenburgische Angelegenheit ist identisch mit der 1868 erledigten
lippischen Verfassungsfrage.
2. Eine Verfassungsstreitigkeit liege nicht vor. Artikel 76 könne auf
aktuellen Verfassungsbruch von unten oder oben Anwendung finden, nicht aber
auf weit zurückliegende Anfechtungen einer bestehenden Verfassung.
3. Die mecklenburgische Verfassung sei notorisch seit 1850 in voller Wirk-
samkeit und Giltigkeit. Dies verstehe sich eigentlich bei einer lange bestanden
habenden Verfassung von selbst, hier aber ganz besonders, da die Regierungen
1866 dem Bunde unmöglich in der Absicht beigetreten sein könnten, ihre be-
stehenden Verfassungszustände zu erschüttern, sie vielmehr solche durch Vorbehalt
des ständischen Zustimmungsrechtes ausdrücklich zur Anerkennung gebracht hätten.
Die ganze Bundesverfassung wäre invalidirt, wenn das Gegenteil der Fall wäre,
der gesamte Rechtszustand des Landes erschüttert, wenn alle seit fast 19 Jahren
vorgenommenen Akte der Gesetzgebung zurückgenommen werden sollten.
4. Es seien demnach in Erwägung, daß die bestehende mecklenburgische
Verfassung das giltige Recht des Landes bei dessen Eintritt in den Bund ge-
wesen, die Petenten abschlägig zu bescheiden.
Dieser letzte Antrag wurde einstimmig zum Beschluß erhoben.
Der den Petenten zugegangene Bescheid des Bundesrats lautet:
Berlin, 5. Juli 1869.
Nachdem der Reichstag des Norddeutschen Bundes infolge der von Ew.
Wohlgeboren und anderen mecklenburgischen Staatsangehörigen an denselben
gerichteten Petitionen, in welchen über die im September 1850 ergangene
Entscheidung des Freienwalder Schiedsgerichts in der mecklenburg-schwerinschen
Verfassungssache Beschwerde geführt wird, beschlossen hat: die Petitionen dem
Bundesrat nach Artikel 76 Alinea 2 der Bundesverfassung zur Prüfung zu
überweisen, ist vom Bundesrat in seiner Sitzung vom 31. Mai d. J. be-
schlossen worden: in Erwägung, daß die infolge des schiedsgerichtlichen Urteils
vom 11. September 1850 wieder hergestellte landständische Verfassung zur Zeit
der Einrichtung des Norddeutschen Bundes in anerkannter Wirksamkeit bestand
und deshalb das in dieser Verfassung sich gründende Recht als das giltige
Verfassungsrecht im Sinne des Einganges der Bundesverfassung angesehen
werden muß, die Beschwerde zurückzuweisen und die Petenten hiervon in Kenntnis
zu setzen.
Das Bundeskanzler-Amt.
Delbrück.