— 272 —
worden wäre. Graf Bismarck blieb aber seiner bekannten Maxime treu, von
dem Uebergewicht der preußischen Stimmen nur dann Gebrauch zu machen,
wenn die Frage von großer nationaler Bedeutung war. Im vorliegenden Falle
beschränkte sich der Bundeskanzler, mit Rücksicht auf den Widerstand der großen
Mehrzahl der Regierungen, auf den Antrag, eine neue Vorlage ausarbeiten zu
lassen, welche dem dringendsten Bedürfnisse abhelfe durch gesetzliche Bestimmungen
über die Verpflichtung zur Armenpflege der Angehörigen eines andern
Bundesstaates, also durch eine Umbildung des Gothaer Vertrages in Form
eines Bundesgesetzes, nachdem der Bundesrat die Regelung dieser Frage ein—
stimmig als notwendig anerkannt hatte.
Bei der Gewerbeordnung standen sich zwei Ansichten gegenüber; die
eine teilte die Ansicht der Präsidialregierung über die Bedürfnisfrage, die andere
meinte dagegen, es lasse sich dem Bedürfnis durch Spezialgesetzgebung genügen.
Letztere Ansicht blieb in der Minorität.
Der im Jahre 1868 an den Amendements des Reichstags gescheiterte
Gesetzentwurf über die Bundesverhältnisse der Bundesbeamten wurde im März
1869 im Schoße des Bundesrats zur Wiedervorlage in der folgenden Session
(1870) umgearbeitet. Die Liberalen hatten gehofft, daß der Bundesrat sich
den früheren Beschlüssen des Reichstags unterordnen werde. Man kann sich
den Unwillen denken, der sich in der Presse Luft machte, als verlautete, daß
der Bundesrat die Vorschriften über die Befreiungen der Bundesbeamten von
der Kommunnalbesteuerung nicht aufgegeben hatte. Der Reichstag rächte sich,
indem er den bezüglichen Gesetzentwurf unter den Tisch warf.
In dem Bestreben, den Bund in Bezug auf seine notwendigen und regel-
mäßigen Ausgaben und selbständigen Einnahmen auszugestalten, folgte der
Bundesrat zwar Bismarck; so ganz glatt gingen aber die einzelnen Vorschläge
daselbst nicht durch. Schon bei Entscheidung der Frage über die rationellste
Besteuerungsart des Branntweins zeigte sich Uneinigkeit. Königreich Sachsen
sprach sich für die Fabrikatsteuer aus, wogegen die Majorität des Ausschusses
nicht die unbedingte und obligatorische Einführung der Fabrikatsteuer empfahl,
sondern den Uebergang zu derselben unter Modalitäten, welche eine allmäliche
und stufenweise Aenderung des bis dahin geltenden Systems in Aussicht stellten.
Gegen die Einführung einer für Rechnung des Bundes zu erhebenden
Wechselstempelsteuer wurden besonders von seiten Hamburgs und Bremens Be-
denken geltend gemacht, weil dadurch dem Budget dieser Staaten eine sehr be-
deutende, zuverlässige und stets wachsende Einnahme entzogen und in die Bundes-
kasse geworfen wurde. Wenn der Bund, so klagte man daselbst, uns nicht nur
schwer drückende Ausgaben aufbürden, sondern auch unsere hauptsächlichsten
Einnahmequellen uns entziehen will, dann wird ein geordneter Staatshaushalt
für uns unmöglich, dann wird unsere finanzielle Lage unhaltbar. Schließlich
einigte man sich dahin, die Einnahme in die Bundeskasse fließen zu lassen, den