— 306 —
lassen, wenn eine gemeinsame Strafprozeßordnung für den Norddeutschen Bund
emanirt sein werde, gegen die 8 Stimmen Sachsen, Hessen, Meiningen, Anhalt
und Hamburg abgelehnt. Vor der gesamten Abstimmung über beide Gesetze
erklärte der Geheime Leg.-Rat v. Könneritz, daß das Königreich Sachsen, obwohl
zu seinem lebhaften Bedauern keine einzige der von ihm im Interesse der Sache
vorgebrachten Einwendungen gegen den Entwurf Beachtung gefunden habe, doch
in Berücksichtigung des nationalen Zweckes und in der Voraussicht, daß eine
Abstimmung gegen den Entwurf ohne Erfolg sein würde, nicht abfällig stimmen
wolle, sich jedoch vorbehalte, auf dem im Artikel 9 der Bundesverfassung ge—
dachten Wege bei der Beratung des Reichstags seine abweichende Meinung in
Betreff der einzelnen Punkte, in denen Sachsen überstimmt worden ist, geltend
zu machen.*)
Die Annahme des Entwurfs erfolgte schließlich im Bundesrat mit allen
gegen die drei Stimmen der beiden Mecklenburg. **)
Am 22. Mai nahm der Bundesrat Stellung zu dem Planckschen Ver—
gleichsvorschlag wegen der territorialen Beschränkung der Todesstrafe. Nachdem
sich vorab Geheimrat v. Könneritz im Namen der sächsischen Regierung für
die Annahme des Amendements ausgesprochen hatte, erklärte der eigens zu
dieser Beratung von Varzin nach Berlin geeilte Bundeskanzler, die Annahme
*) Artikel 9 der Bundesverfassung bestimmt: Jedes Mitglied des Bundesrats hat das
Recht, im Reichstag zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden,
um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch wenn dieselben von der Majorität
des Bundesrats nicht adoptirt worden sind.
*“) Ueber die Haltung mehrerer anderen Regierungen verlautete: Mehrere Bevoll-
mächtigte im Bundesrat sprachen sich teils für gänzliche Beseitigung des 29. Abschnittes
des Strafgesetzbuches, teils für dessen Abänderung aus. Nach der Erklärung des hessischen
Bevollmächtigten ging seine Regierung von der Ansicht aus, daß Arlikel 4 der Bundes-
verfassung unter dem Worte „Strafrecht“ nur die Gesetzgebung über Verbrechen und Ver-
gehen, nicht aber das Polizeistrafrecht begriffen habe. Abgesehen hiervon halte man
es aus materiellen Gründen für angezeigt, die „Uebertretungen“ aus dem Entwurfe ganz
zu entfernen, da sich die polizeistrafrechtlichen Bestimmungen im allgemeinen wegen der
dabei wesentlich in Betracht kommenden lokalen und territorialen Verhältnisse bei weitem
mehr für die partikuläre, als für eine gemeinsame Gesetzgebung eignen. Die in den Ent-
wurf ausgenommenen Uebertretungen hingen mit der großen Zahl anderer Uebertretungen,
die in den Entwurf nicht ausgenommen sind, auf das engste zusammen. Das Polizeistraf-
recht für die letzteren Uebertretungen mit dem System des durch den Entwurf aufgestellten
gemeinsamen Polizeistrafrechts in Einklang zu bringen, werde die erheblichsten Schwierig-
keiten haben, das Nebeneinanderstehen verschiedener Polizeistrafsysteme aber mit schweren
Mißständen verbunden sein. — Mecklenburg wollte ebenfalls die Entfernung des Ab-
schnitts 29 ungefähr aus denselben Gründen und erklärte, andernfalls gegen die Annahme
des ganzen Entwurfes zu stimmen. — Kompetenzbedenken machte der weimarische Bevoll-
mächtigte nicht geltend, er hielt aber für angemessen, nur solche polizeiliche Uebertretungen
aufzunehmen, welche zweifellos allenthalben Nachteil brächten, also die in § 356 ent-
haltenen Fälle.