als er den Direktor der Abteilung für Gewerbe zum Präsidenten des Bundes-
kanzler-Amts ausersah. Als der Posten geschaffen ward, wußte man nicht recht,
was man sich darunter vorstellen solle. Die meisten dachten ihn sich als eine
Art höherer Kanzleivorstandschaft. Daß er der Stütz= und Mittelpunkt der
Regierung und Gesetzgebung Deutschlands — wenigstens für die inneren An-
gelegenheiten — geworden ist, weiß heute jedermann; damals sahen nur wenige
es voraus. Denn voraussehen konnten es nur diejenigen, die mit dem Er-
nannten und mit seinen seltenen Eigenschaften genau bekannt waren. Was
das Bundes= und das Reichskanzler-Amt geworden ist, das ist es vor allem,
wenn nicht ausschließlich, durch die außerordentliche Persönlichkeit geworden, in
deren Hände der neue Apparat gelegt wurde. Heute kann man sich nur schwer
vorstellen, wie die komplizirte Maschine der Reichsverfassung neben dem Räder-
werk so vieler Einzelstaaten hätte mit Erfolg arbeiten sollen, wenn nicht ein
Mann wie Delbrück die Leitung und Aufsicht besorgt hätte. Seine ganze
Natur und die Art seiner Bildung schienen eigens dazu geschaffen, um die
Natur des Kanzlers zu ergänzen und mit ihm gemeinschaftlich das große Ex-
periment durchzuführen, welches zu gleicher Zeit und täglich Energie und
Mäßigung, Festigung und Nachgiebigkeit, Großheit im Entwerfen und sorgfältige
Präzision im Ausführen, Kühnheit im Neuen und Ordnung in der Geschäfts-
führung, gutes Einvernehmen mit den Regierungen und Vertrauen von seiten
des Volkes und seiner Vertreter erheischte. Dem Ruhm des Reichskanzlers tritt
man nicht zu nahe, wenn man ausspricht, daß er allein das Werk nicht hätte
durchführen können. So unentbehrlich ihm der Degen Moltkes war, so unent-
behrlich war ihm die Feder Delbrücks.
Die spätere Ernennung Delbrücks zum Staatsminister erfolgte ausschließlich
auf Betreiben Bismarcks. Er gehörte zum „Handwerkszeug“ des Kanzlers,
ohne welches ihm die Arbeit schwer geworden wäre)
Delbrück hatte in den inneren Fragen des Reichs plein pouvoir. Er war
durch keinerlei schriftliche Instruktionen Bismarcks gebunden; er konnte jedem
legislatorischen Gedanken näher treten, darüber mit den Bundesregierungen und
seinen Kollegen im preußischen Staatsministerium korrespondiren, einer Sache
ihren Lauf geben oder sie zurücklegen und nach Belieben wählen, ob und
wann er darüber mit seinem Chef sprechen wollte. Da die Eingänge an das
„Reichskanzler-Amt“ gerichtet zu werden pflegten, so kamen die Schriftstücke und
die darauf zu erteilenden Antworten dem Kanzler nur dann vor Augen, wenn
Delbrück der prinzipiellen Wichtigkeit der Sache wegen die Vorlegung veranlaßte.
Anträge, die ausnahmsweise an die Person Bismarcks gerichtet waren, pflegte
der Kanzler an das Reichskanzler-Amt abzugeben, wenn ihn die Frage interessirte,
*) Unsere Minister S. 147.
**) Roon Bd. II. S. 410.