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Richtung könne aber dadurch Rechnung getragen werden, daß dem Bundesrat
die Befugnis zur Aenderung des Güterverzeichnisses vorbehaltlich nachträglicher
Zustimmung des Reichstags sowie zum Erlaß der spezielleren Ausführungs-
bestimmungen vorbehalten werde.
Diese Anschauung blieb indessen in der Minderheit. Die überwiegende
Mehrheit entschied sich für die Bestimmung des Entwurfs.
Für die Ausführung der hiernach dem Bundesrat zu übertragenden Fest-
stellung des Tarifsystems glaubt der Ausschuß empfehlen zu sollen, im allgemeinen
an den Grundsätzen des bestehenden einheitlichen Systems festzuhalten und dies
demnächst in den Motiven der Gesetzesvorlage unter Darstellung des gegen-
wärtigen Zustandes mit dem Bemerken auszusprechen, daß geprüft werden würde,
ob und nach welcher Richtung etwa Aenderungen erforderlich seien. Schon jetzt
in diese Prüfung und in die Detailberatung eines einheitlichen Tarifsystems
einzutreten, wurde von der Mehrheit abgelehnt.
Bezüglich der Tarifsätze war man darüber einig, daß zur Wahrung der
erstrebten und im allgemeinen Interesse von Handel und Verkehr notwendigen
Gleichmäßigkeit und Stetigkeit der Gütertarife nicht Maximal-, sondern Normal-
sätze aufzustellen seien. Auch sprach sich die Mehrheit für die Feststellung
übereinstimmender Normaleinheitssätze seitens des Reichs aus. Der Antrag der
Präsidialbevollmächtigten auf Feststellung derselben durch Gesetz fand aber all-
seitigen Widerspruch.
Gegen eine einheitliche Regelung von Reichs wegen und für die Feststellung
der Einheitssätze durch die Landesregierungen wurde auf die Verschiedenheit der
finanziellen und Verkehrsverhältnisse der einzelnen Bahnen sowie darauf auf-
merksam gemacht, daß eine derartige Festsetzung auch verfassungsmäßig nicht Auf-
gabe des Reichs sei. Demgegenüber wurde aus der Mehrheit darauf hin-
gewiesen, daß gerade die Verfassung die Gleichmäßigkeit der Tarife (Art. 45)
betone, daß eine einheitliche und gleichmäßige Regelung dieses Punktes der wirt-
schaftlichen Zusammengehörigkeit des Reichsgebietes durchaus entspreche und sich
als die notwendige Konsequenz der vom Reich eingeschlagenen Wirtschafts-
politik darstelle, auch die Festsetzung des Tarifsystems durch den Bundesrat
ohne gleichzeitige Feststellung der Sätze keine Bedeutung habe. Den beson-
deren Verhältnissen einzelner Bahnen könne durch Gewährung von Entfernungs-
zuschlägen und nötigenfalls von Ausnahmetarifen genügende Rechnung getragen
werden.
Für eine Regelung der Einheitssätze durch Gesetz war hierzu noch geltend
gemacht worden, daß bei der eminent wirtschaftlichen Bedeutung des Tarifwesens
für die Interessen des ganzen Volkes es natürlich erscheine, bei Entscheidung
dieser Fragen auch den Vertretern der Nation eine Stimme einzuräumen.
Die Mehrheit vereinigte sich schließlich dahin, die Feststellung der Normal-
einheitssätze dem Bundesrat zu übertragen.“