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führlicher Rede, daß das Gesetz dem Artikel 45 der Reichsverfassung zuwider—
laufe. Der Artikel 45 gäbe dem Reiche die Kontrolle über das Tarifwesen,
wodurch selbstverständlich die Festsetzung der Tarife ausgeschlossen sei; denn wenn
man etwas selbst festsetze, könne man es nicht selbst kontrolliren. Demnächst
machte der Minister v. Mittnacht eine Hinweisung auf die finanziellen Verhält—
nisse derjenigen Staaten, welche größere Staatsbahnnetze mit einer hohen Be—
lastung ihrer Finanzen hergestellt haben. Der Reinertrag der württembergischen
Bahnen bleibe derzeit schon hinter den Erfordernissen der Verzinsung des Anlage—
kapitals zurück. Der vorliegende Entwurf drohe eine weitere Verminderung des
Ertrags herbeizuführen. Die württembergische Regierung bedaure somit, die
Zustimmung zu dem Entwurf auf ihre Verantwortung nicht nehmen zu können,
glaube aber, daß es wünschenswert sei, daß eine Feststellung allgemeiner Grund-
sätze über den Tarif und eine Vorkehr gegen Mißbräuche in der Konkurrenz
erfolgen könnten, ohne daß tiefeingreifende Aenderungen der Zuständigkeiten
damit verbunden sein müßten. Die württembergische Regierung erkläre sich zur
Mitwirkung an einer gesetzlichen Regelung in den angeführten Grenzen jederzeit
bereit. Dieser Erklärung schlossen sich Sachsen und Braunschweig an.
Der Vertreter der braunschweigischen Regierung gab die Erklärung zu
Protokoll, daß dem Herzogtum Braunschweig ausdrücklich zugestanden sei, in sein
Tarifwesen keine Eingriffe zu machen. Der badische Bevollmächtigte erklärte
unmittelbar vor der Schlußabstimmung über den Entwurf, durch die Annahme
der Ausschußanträge §§ 2 und 4, welche nach der Auffassung seiner Regierung
eine in die finanziellen und politischen Verhältnisse des Landes tief eingreifende
Veränderung der Verfassung enthalten, würde er nun genötigt sein, gegen das
Gesetz zu stimmen. Er hätte dies um so mehr zu bedauern, als die Groß-
herzogliche Regierung sonst mit dem Inhalt des Gesetzes in allem Wesentlichen
einverstanden sei und insbesondere zu der durch den § 6 bezweckten Abstellung
von Mißständen im Bereiche der Ausnahmetarife gerne mitgewirkt hätte; die
Möglichkeit einer Vermittlung zwischen den sich gegenüberstehenden Interessen
und Ansprüchen scheine ihm immer noch nicht ausgeschlossen, und er habe des-
halb zur Erwägung zu geben, ob nicht die Schlußabstimmung ausgesetzt und
zur Herbeiführung eines Ausgleichs der Entwurf nochmals an den außerordent-
lichen Ausschuß, etwa unter Zuziehung des Verfassungsausschusses, zurückgewiesen
werden sollte.
Schließlich wurde, wie bereits erwähnt, der Antrag Württembergs, die
Frage, inwieweit die §§ 2 und 4 des Gesetzes eine Aenderung der Reichs-
verfassung involviren, dem Verfassungsausschuß des Bundesrats überwiesen, mit
der ausdrücklichen Aufforderung, schleunigst darüber Bericht zu erstatten. 1)
1) Ueber die hierdurch geschaffene Lage schrieb die „National-Ztg.“ in der Nr. 284
v. 21. 6. 79: „Heute tritt der Verfassungsausschuß zusammen, um einen Referenten über