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Die Angelegenheit blieb in der Schwebe bis zur Sitzung vom 27. Juni,
in welcher dem Antrag von Königreich Sachsen, Württemberg und Baden ent—
sprechend beschlossen wurde: „die Beratung der 88 2 und 4 des Gesetzentwurfs,
betreffend das Gütertarifwesen der deutschen Eisenbahnen, wieder aufzunehmen
und unter vorläufiger Entbindung des Verfassungsausschusses von dem ihm
erteilten Auftrage den Gegenstand in den außerordentlichen Ausschuß für das
Gütertarifwesen zurückzuverweisen, behufs der Detailberatung eines einheitlichen
Tarifsystems und dazu gehöriger Normaleinheitssätze“.
Damit war die Frage in anständiger Form zu Grabe getragen. Es heißt,
Bismarck habe den Widerstand, der ihm von den Mittelstaaten entgegengesetzt
wurde, peinlich empfunden; er hat aber nichts gethan, denselben zu brechen.
Herstellung eines einheitlichen Tarifsystems auf den deutschen
Bahnen. Im Anschluß an die im Oktober 1877 vorgelegte Nachweisung legte
der Stellvertreter des Reichskanzlers Graf Stolberg-Wernigerode im Juli 18781)
dem Bundesrat eine im Reichs-Eisenbahn-Amt aufgestellte zweite Uebersicht über
den Umfang, in welchem das aus den Beratungen deutscher Staats= und Privat-
bahnen hervorgegangene einheitliche Tarifsystem fernerweit zur Einführung ge-
kommen war, zur Kenntnisnahme vor. Die Reform der Lokaltarife war danach
als abgeschlossen zu betrachten. Von den in Deutschland bestehenden 63 Eisen-
bahnverwaltungen hatten 61 für ihren Lokalverkehr an Stelle der früheren neue,
auf der Grundlage des Reformsystems aufgestellte Tarife zur Einführung gebracht.
Rückständig waren nur noch die Friedrichrodaer Eisenbahn, von welcher noch keine
Mitteilung über eine Reform ihres Lokalgütertarifs vorlag, und die Georgs-
Marienhütte-Hasberger Eisenbahn, welche den bisherigen Gütertarif beizubehalten
beabsichtigte. Beide Verwaltungen kamen für den allgemeinen Verkehr kaum in
Betracht. Die Reform der Tarife im Verbands= und direkten Verkehr hatte
seit Vorlage der ersten Uebersicht zwar ebenfalls Fortschritte gemacht, dieselbe
war jedoch erst zum kleineren Teil durchgeführt. Von den auf den deutschen
Bahnen im Verkehr unter sich und mit dem Auslande zurzeit bestehenden
1201 Tarifen waren bis zum 15. Juni erst 213, also etwa 18 Prozent, und.
von den lediglich zwischen deutschen Bahnen bestehenden 636 Verbands= und
direkten Tarifen 199, also etwa 30 Prozent, auf der Grundlage des Reform-
systems aufgestellt.
Reichsgesetz über das Eisenbahnwesen. Am 15. Mai 1879
unterbreitete Bismarck dem Bundesrat einen Antrag Preußens, betreffend die
Einsetzung einer Kommission zur Aufstellung des Entwurfs eines Reichsgesetzes
über das Eisenbahnwesen. Der Antrag lautete:
1) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt.