Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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der Reichskanzler durch einen Majoritätsbeschluß gezwungen werden, mit seiner 
Unterschrift eine Verantwortlichkeit zu übernehmen, dann würde letztere logisch 
aufhören, eine volle Verantworlichkeit zu sein, und dem Kanzler würde aus 
diesem Zwange die Berechtigung zur Ablehnung derselben ohne Zweifel er— 
wachsen.“ 1) 
Am 24. April 1880 (Nr. 190), zu einer Zeit also, da die Sache längst 
gütlich erledigt war, nahm die „Nordd. Allg. Ztg.“ das Wort zu folgender 
Erklärung: „Ueber die Kanzlerkrisis und ihre Veranlassung sind in verschiedenen 
Wiener Blättern Mitteilungen verbreitet worden, welche die vielbesprochenen 
Vorgänge im Bundesrat auf angeblich reichsfeindliche Tendenzen einzelner Re- 
gierungen zurückzuführen versuchen und dabei die Insinuation enthalten, als ob 
ausländische Einflüsse auf die Haltung dieser Regierungen eingewirkt hätten. 
Wir haben von solchen Korrespondenzen bisher keine Notiz genommen, 
weil wir sie für ephemere Erscheinungen auf dem Gebiete der Sensations- 
journalistik hielten. Da das angedeutete Thema aber immer von neuem variirt 
wird und deshalb schließlich gläubige Leser finden könnte, so glauben wir noch- 
mals darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es sich bei dem neulichen Ent- 
lassungsgesuch des Reichskanzlers lediglich um innere Fragen handelte, bei denen 
die auswärtige Politik nicht im geringsten eine Rolle spielte. Der Reichskanzler 
hielt sich nicht für berechtigt, einem Beschlusse des Bundesrats, für den er die 
Verantwortlichkeit nicht übernehmen wollte, die Ausführung zu versagen, ohne 
vorher sein Amt zur Verfügung des Kaisers gestellt zu haben. Er fühlte ferner 
das Bedürfnis, dem Mangel an disziplinarischem Zusammenhange unter den 
Reichsbehörden, welcher bei den Vorgängen im Bundesrate zu Tage getreten 
war, in einer Weise entgegenzuwirken, welche mehr Eindruck macht wie die 
Aeußerung einfacher Wünsche und Kritiken. 
Wir geben gern zu, daß diese Motive nicht für jeden, der außerhalb des 
Geschäftsgetriebes steht, auf den ersten Blick erkennbar waren; das aber können 
wir nicht verstehen, wie man aus diesen inneren Vorkommnissen, bei denen die 
Krisis einen formell geschäftlichen Charakter trug, den Vorwand zur Verdäch- 
tigung einzelner deutscher Regierungen hernehmen kann. Wir verstehen nicht, 
welches Interesse, wenn nicht lediglich dasjenige des Sensationsbedürfnisses des 
Lesers, irgend ein deutsches oder österreichisches Blatt daran haben kann, die 
jederzeit bewährte reichsfreundliche Politik der so frivol angegriffenen Re- 
gierungen in Zweifel zu ziehen. Wir wiederholen: Alle Behauptungen über den 
Zusammenhang der Krisis mit Fragen der auswärtigen Politik sind ohne jeden 
auch nur scheinbaren Anhaltspunkt erfunden.“ 
1) Vgl. den Artikek: „Die Ursachen der Kanzlerkrisis“ in den „Grenzboten“ Jahrg. 1880 
II. Quartal S. 124—126 u. v. Saucken-Tarputschen: Die Kanzlerkrisis. Rede, gehalten 
am 26. April 1880 in der Wäblerversammlung des 3. Berliner Wahlkreises. 
Berlin 1820.
	        
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