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Wie allgemein erwartet wurde, wurde das Entlassungsgesuch des Kanzlers
durch folgende Kabinetsordre ablehnend beantwortet: „Auf Ihr Gesuch vom
6. d. M. erwidere Ich Ihnen, daß Ich die Schwierigkeiten zwar nicht ver—
kenne, in welche ein Konflikt der Pflichten, welche Ihnen die Reichsverfassung
auferlegt, Sie mit der Ihnen obliegenden Verantwortlichkeit bringen kann, daß
Ich Mich aber dadurch nicht bewogen finde, Sie Ihres Amtes um deshalb zu
entheben, weil Sie glauben, der Ihnen durch die Artikel 16 und 17 der Reichs-
verfassung zugewiesenen Aufgabe in einem bestimmten Falle nicht entsprechen
zu können. Ich muß Ihnen vielmehr überlassen, bei Mir und demnächst beim
Bundesrate diejenigen Anträge zu stellen, welche eine verfassungsmäßige Lösung
eines derartigen Konfliktes der Pflichten herbeizuführen geeignet sind.
Berlin, den 7. April 1880.
Wilhelm.
An den Reichskanzler Fürsten v. Bismarck."“
In einem boshaften Artikel der „Breslauer Ztg.“ vom September 1890,
der das Verhältnis zwischen Bismarck und dem Kaiser Wilhelm als bedenklich
darzustellen versuchte, war auch auf die Kälte des vorstehenden Bescheides hin-
gewiesen worden. Mit Bezug hierauf schrieben die „Hamburger Nachrichten“
in einem Artikel, der vielleicht Bismarcks Auffassung wiedergab: „In der Bres-
lauer Zeitung“ und in der „Täglichen Rundschau sind in den letzten Tagen
Mitteilungen publizirt worden über das Verhältnis zwischen Kaiser Wilhelm I.
und dem Fürsten Bismarck, „Enthüllungen“, über deren Wert kein unterrich-
teter Leser im unklaren sein wird. Nur eine der aufgestellten Behauptungen
wollen wir näher prüfen.
Das lletzte Abschiedsgesuch des Kanzlers war vom Kaiser Wilhelm I.
allerdings sehr kühl und einfach erledigt worden, und zwar aus dem Grunde,
weil sowohl die Einreichung des Gesuches wie seine Erledigung vorher zwischen
beiden verabredet worden war. Das Gesuch bildete in diesem Fall die Form,
in welcher der Kaiser einem Bundesratsbeschluß widersprach, mit welchem
Seine Majestät nicht einverstanden war.
Der Kaiser hat bekanntlich in der Reichsverfassung kein ausgesprochenes
Veto; er kann aber ein solches bis zu einem gewissen Grade faktisch üben,
wenn er erklärt, keinen Kanzler zu finden, der zur Kontrasignaticn der Publi-
kation bereit sei. Dieser Fall lag vor, und der betreffende Bundesratsbeschluß
blieb ohne amtliche Folgen.
Nach dieser Aufklärung erscheint der den obigen Blättern aufgebundene
Bär in seiner ganzen Lächerlichkeit. Es fällt damit die Bezugnahme auf die
zwischen Fürst Bismarck einerseits, v. Schleinitz und v. Stosch andererseits an-
gedeuteten Feindschaften, welche bei dieser Angelegenheit mitgespielt haben sollen,
in sich zusammen. Das Ganze war ein politischer Schachzug von Kaiser und