Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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Tiedemann erfreute sich der herzlichsten privaten und Familienbeziehungen 
zu dem Hause des Fürsten Bismarck, was aus der einen Thatsache schon zur 
Genüge erhellt, daß er in einem einzigen Jahre 133 mal bei dem Fürsten zu 
Tisch geladen war. 1) 
Ein an den Geheimrat v. Tiedemann gerichteter Brief Bismarcks lautet: 
Kissingen, 15. August 1878. 
„Eure Hochwohlgeboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und 
Herrn Geheimrat Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf 
des Sozialistengesetzes in der „Provinzial-Korrespondenz“ amtlich publizirt worden 
ist, bevor er im Bundesrat vorgelegt war. Diese Veröffentlichung präjudizirt 
jeder Amendirung durch uns und ist für Bayern und andere Dissentirende ver- 
letzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Bayern muß ich an- 
nehmen, daß letzteres an seinem Widerspruch gegen das Reichsamt festhält. 
Württemberg und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt 
nicht im Prinzip, wohl aber angebrachtermaßen, indem sie die Zuziehung von 
Richtern perhorresziren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur 
anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Funk- 
tionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen 
nicht einem richterlichen Kollegium unterstellt und auf diese Weise für alle 
Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Sozialismus lahmgelegt 
werden. Die Funktionen des Reichsamts können nach meiner Auffassung nur 
durch den Bundesrat entweder direkt oder durch Delegationen an einen jährlich 
zu wählenden Ausschuß geübt werden. Der Bundesrat repräsentirt die Re- 
gierungsgewalt der Gesamt-Souveränetät von Deutschland, dabei etwa dem 
Staatsrat unter anderen Verhältnissen entsprechend. 
Bisher muß ich indessen annehmen, daß Bayern auf diesen für Württem- 
berg, Sachsen und für mich persönlich annehmbaren Ausweg nicht eingehen 
wird. Auch die Klausel in Nr. 3 Art. 23, daß nur arbeitslose Individuen 
ausgewiesen werden dürfen, ist für den Zweck ungenügend. 
Ferner bedarf das Gesetz meines Erachtens eines Zusatzes in Betreff der Be- 
amten, dahingehend, daß Beteiligung an sozialistischer Politik die Entlassung 
ohne Pension nach sich zieht. Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subaltern- 
beamten in Berlin und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher 
Kategorien sind Sozialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen 
und Truppentransporten einleuchtet. 
Ich halte ferner, wenn das Gesetz wirken soll, für die Dauer nicht möglich, 
den gesetzlich als Sozialisten erweislichen Staatsbürgern das Wahlrecht und die 
Wählbarkeit und den Genuß der Privilegien der Reichstagsmitglieder zu lassen. 
1) Tiedemann war zu Besuch bei Bismarck in Kissingen Ende Mai 1877 und in 
Friedrichsruh am 2. und 24. Januar 1879. Das erste Datum ist in Kohls Bismarck- 
Regesten übersehen.
	        
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