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Vollzug der Freiheitsstrafen. Der Entwurf eines Gesetzes über
die Vollstreckung der Freiheitsstrafen, welcher zu Anfang des Jahres 1879 von
seiten des Reichskanzlers dem Bundesrat vorgelegt worden, war dem Ausschusse
für Justizwesen zur Beratung überwiesen.!) Der Ausschuß unterzog den Gegen-
stand in der Frühjahrssession 1879 einer vorläufigen Besprechung; die ein-
gehende Beratung des Entwurfs nahm derselbe aber erst im Herbst desselben
Jahres in Angriff, und er führte dieselbe in mehreren Sitzungen sowie nach
zwei Lesungen zu Ende.?:) Ueber den Gang dieser Beratungen kamen sehr
ungünstige Nachrichten zu Tage; die Schwierigkeiten, zu deren Hebung der
württembergische Minister v. Mittnacht in Berlin erwartet wurde, sollen ihren
Grund gehabt haben einmal in finanziellen Bedenken (mutmaßliche Kosten der
Ausführung des Gesetzes in Preußen 90 Millionen Mark) und sodann in dem
stets heiklen Punkte der Reichs= und Landeskompetenz.
Am 18. Januar 1880 erstattete der Justizausschuß des Bundesrats seinen
Bericht über die Vorlage. Ueber die großen und allgemeinen Züge, in denen
sich die Arbeiten des Ausschusses bewegten, entnehmen wir dem Ausschußberichte
Folgendes: Die prinzipielle Frage, ob es sich überhaupt empfehle, die Be-
stimmungen über den Strafvollzug gesetzlich zu regeln, wurde von dem Bevoll-
mächtigten für Braunschweig angeregt und unter Unterstützung des Bevoll-
mächtigten für Rudolstadt verneint. Der Wunsch des Reichtags allein — so
wurde ausgeführt — könne den Erlaß eines solchen Gesetzes nicht wohl moti-
viren. Gründe der legislativen Politik sprächen gegen den Entwurf. Ein
erheblicher Teil desselben solle weder Rechte noch Pflichten einzelner begründen,
sondern den Regierungen Verpflichtungen auflegen. Die Regierungen hätten
keinen Anlaß, in dieser Weise sich selbst durch Gesetz zu vinkuliren. Dann
enthalte der Entwurf fast nur reglementarische Vorschriften und ganz spezielle,
in die Hausordnung gehörige Dinge. Es sei an sich bedenklich, dergleichen
gesetzlich zu fixriren und damit jede Aenderung zu erschweren oder unmöglich zu
machen. Wolle man gleichwohl ein Gesetz erlassen, so könne sich dasselbe, da
1) ck. oben S. 25, 26.
2) Ueber den Gang dieser Beratungen vgl. die „Nat.-Ztg.“ Nr. 461 v. 4. 10. 79,
Nr. 481 v. 16. 10. 79. Ende Nov. 1879 verlautete: Die drei wichtigen Abänderungen
des Strafvollzugs-Gesetzentwurfs im Bundesrate — Aufhebung der obligatorischen Einzelhaft
der Zuchthausgefangenen, Uebertragung der Entscheidung über die Ausführung der Ein-
richtungen der Gefangenen= und Strafanstalten in den einzelnen Bundesstaaten von dem
Reichskanzler resp. der Reichs-Justizuerwaltung auf den Bundesrat und die Streichung
der Bestimmung über die Reichskontrolle — haben zur Folge gehabt, daß die Reichs-
regierung Bedenken trägt, den derartig umgeänderten Entwurf dem Reichstage vorzu-
legen, und es schweben demzufolge zwischen der Reichsregierung und den mittelstaatlichen
Bundesregierungen vertrauliche Verhandlungen über eine Fassung des Entwurfs, welche
eine einheitliche Ausführung des Strafvollzugs in Deutschland mehr sichert als der Entwurf
in seiner gegenwärtigen, vom Bundesrat gegebenen Fassung.