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sträflingen, Gefängnissträflingen und sogenannten qualifizirten Haftsträflingen
gegenüber, unter welchen letzteren namentlich Zuchtlosigkeit und Renitenz sehr
häufig zu beobachten sei, auf die Androhung einer Strafe zu verzichten, welche von
vielen dieser Sträflinge ihrer Lebensgewöhnung zufolge allein noch als ein Uebel ge—
fürchtet und empfunden werde. Die im allgemeinen beobachtete Zunahme der Roheit
und Zuchtlosigkeit habe auch in Arbeitsanstalten neuerdings zur Wiedereinführung
der körperlichen Züchtigung Anlaß gegeben. Hierzu komme noch die notwendige
Rücksicht auf die exzeptionelle Beschaffenheit der Bevölkerung mancher Straf-
anstalten Deutschlands, zum Beispiel der See= und Hafenstädte, in denen vielfach
Nichteuropäer zu detiniren seien, bei welchen ihrem Bildungsstande entsprechend
die Möglichkeit, körperliche Züchtigung anzuwenden, nicht entbehrt werden könne.
Bei der Abstimmung blieben sämtliche gestellten Abänderungsanträge in der
Minderheit, und die Vorschläge des Entwurfs erlangten die Mehrheit. Da man
jedoch die Richtigkeit des oben erwähnten, aus § 41 abgeleiteten Bedenkens nicht
verkennen konnte, so beschloß man zugleich, den an sich als zweifellos betrachteten
Satz, daß die Beschwerde gegen Verfügungen der Gefängnisverwaltungs= und
Aufsichtsbehörden keine aufschiebende Wirkung habe, nicht ausdrücklich im Gesetz
auszusprechen, sondern klarzustellen, daß es bei der Verhängung von Disziplinar-
strafen dem pflichtmäßigen Ermessen des Gefängnisvorstandes überlassen bleibe,
ob er es für angezeigt halte, durch Einwendung einer Beschwerde sich an der
Vollstreckung der Strafe behindern zu lassen. Endlich war man einstimmig der
Ansicht, daß die in § 39 des Entwurfs nachgelassene Anwendung des Zwangs-
stuhls eine grausame und unnötige Maßregel enthalte, deren Zweck — Ueber-
wältigung von thätlicher Widersetzlichkeit oder von Tobenden — schon durch
Anlegung der Zwangsjacke oder durch Fesselung erreicht werden könne, weshalb
man die Streichung jenes Zwangsmittels zu empfehlen beschloß; man fand
aber einstimmig für nötig, die Zulässigkeit der Fesselung zu gleichem Zwecke
sowie als Sicherungsmaßregel, zum Beispiel gegen Fluchtversuche oder gewalt-
same Angriffe, in Anerkennung des durch wiederholte Erfahrungen hervor-
getretenen Bedürfnisses, ausdrücklich im Gesetze auszusprechen.
Ueber das Schicksal dieses Ausschußberichts hat nichts verlautet.1)
Sozialistengesetz. Am 11. Februar 1880 beantragte Bismarck die
Zustimmung des Bundesrats zu folgendem Gesetzentwurf: „Die Dauer der
Geltung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial-
demokratie vom 21. Oktober 1878 wird unter Abänderung des § 30 dieses
Gesetzes bis zum 31. März 1886 hierdurch verlängert.“7)
1) Bundesratsvorlagen respektive Verhandlungen über die Geschäftsordnung des Reichs-
gerichts s. „Nat.-Ztg.“ Nr. 53 v. 1. 2.80, Auslieferungsvertrag mit Uruguay Nr. 173 v. 14. 4. 80.
2) Motive der Kanzlervorlage s. „Nat.-Ztg.“ Nr. 71 v. 12. 2. 80, „Nordd. Allg. Ztg."
Nr. 71 v. 12. 2. 80.