Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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Häufung der Substitutionsvollmachten vor uns. Daß hier ein Mißverhältnis 
obwaltet, wird allgemein zugegeben. Dasselbe beruht mehrfach auf einer ge— 
wissen Lauheit einzelner Regierungen, welche der Last einer ständigen Vertretung 
in Berlin ausweichen wollen; sie beruht andererseits auf der Kostspieligkeit einer 
solchen dauernden Vertretung in Berlin für die kleinsten Staaten. Es ist der 
Wunsch des Reichskanzlers, daß die Minister der Einzelstaaten an den Ver— 
handlungen des Bundesrats Anteil nehmen, ein Wunsch, der namentlich bei 
wichtigeren Gegenständen eine gewisse Selbstverständlichkeit hat. Es kann hier 
mit thatsächlichen und mit geschäftsordnungsmäßigen Einrichtungen gebessert 
werden. Das Demissionsgesuch des Reichskanzlers mag als Wink an die 
Einzelregierungen aufgefaßt werden, daß er die Möglichkeit seiner Amtsführung 
an ihre eifrigere persönliche Unterstützung knüpft. 
Was den Punkt der Majorisirung der Mehrheit der Bevölkerung durch 
die Minderheit betrifft, so könnte hier nur eine Verfassungsänderung helfen. 
Diese könnte man sich in doppelter Weise denken, so daß die Stimmen der 
größeren Staaten vermehrt oder die der kleineren gekürzt werden. Einer Ver— 
stärkung der Stimmenzahl der Präsidialmacht haben wir natürlich keine Ver— 
anlassung entgegenzutreten; dieselbe wird ihren Einfluß stets im allgemeinen 
Interesse verwenden. Auch eine Ueberweisung von Stimmen für Elsaß-Loth- 
ringen an den Kaiser wäre eine sehr angemessene Maßregel. Eine erschöpfende 
Ausgleichung zwischen Stimmenzahl und Bevölkerungsziffer steht jedoch außer 
Frage. Sollte eine Vermehrung der preußischen Stimmen gleichzeitig mit einer 
Vermehrung der Stimmen der Königreiche erfolgen, so würden wir eine solche 
Maßregel im höchsten Grade für bedenklich, ja geradezu für grundstürzend halten. 
Aus einem augenblicklichen Zusammenstehen von Preußen, Bayern und Sachsen 
wird man keine Reichsinstitution machen wollen. 
Mit womöglich noch größerem Nachdruck müßten wir den Gedanken zurück- 
weisen, daß an dem verfassungsmäßigen Stimmrecht der Kleinstaaten irgend 
gerüttelt werde. Die Vergangenheit hat gezeigt, und die Zukunft wird es wieder 
zeigen, daß gerade die Stimmen der Kleinstaaten es sind, welche der Kaiser- 
lichen Prärogative, der Kraft des Reiches die besten Dienste, dem Partikularis= 
mus den entschiedenen Widerstand leisten, die bei richtiger Behandlung die zu- 
verlässigsten Stützen für die Reichsregierung abgeben. War es doch gerade 
Fürst Bismarck, der, als er sein Ideal des Bundesrats zeichnete, eine Ver- 
sammlung aller Talente in ihm hergestellt wissen wollte, eine wirklich beratende 
Versammlung, einen Senat, keine Abstimmungsmaschinen. Für die Verstän- 
digung zwischen Preußen, Bayern und Sachsen über die Köpfe der anderen 
Staaten hinweg, wie sie zum Beispiel die Köln. Ztg. als die Modellgrup- 
pirung durch Verfassungsgesetze schützen will, können wir uns in keiner Weise 
erwärmen. Wir sind auch der Ueberzeugung, daß dem Reichskanzler der Ge- 
danke absolut fernliegt, an der verfassungsmäßigen Berechtigung der kleineren 
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. IV. 13
	        
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