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daß der Abgeordnete Freiherr v. Varnbüler gestern eine Unterredung mit dem
Reichskanzler hatte und demselben seine Vermittelung antrug, um die württem—
bergische Regierung zu veranlassen, von ihrem Antrag auf Befreiung der Post-
anweisungen von der Quittungssteuer bei erneuter Beratung des Gegenstandes
abzusehen. Bei der Abstimmung über die Besteuerung von Postscheinen und
Postanweisungen sind die Kleinstaaten durch die Argumente des Kommissars
des Reichspostamts in ihrer Ansicht bestärkt worden, welche durch eine Gegen-
rede des Finanzministers Bitter nicht widerlegt wurden. In parlamentarischen
Kreisen wird behauptet, der Reichskanzler habe es dem Vorsitzenden des Bundes-
rats verdacht, daß er den Kommissar des Reichs-Postamts in der Plenarsitzung
des Bundesrats zum Worte verstattet habe, während bezüglich der Teilnahme
des Kommissars an der Verhandlung eine Beschlußfassung des Bundesrats in
aller Form erfolgt sein soll. Ferner wird behauptet, der Kommissar des Post-
ressorts habe lediglich im Auftrage seines Chefs gesprochen, ein Umstand,
welcher wiederum eine andere Angabe hinfällig macht, wonach gar ein Dis-
ziplinarverfahren gegen jenen Kommissar beabsichtigt wäre."
Ich lasse hier zum Schlusse noch folgen, was der Reichstagsabgeordnete
v. Hölder über den Vorgang auf Grund seiner Besprechungen mit dem Minister
v. Mittnacht und dem württembergischen Bevollmächtigten zum Bundesrat v. Schmid
in seinem Tagebuch notirte:
„Berlin, Donnerstag, 8. April 1880.
Schon in Hof erfuhr ich auf der Reise von Stuttgart nach Berlin von
Sonnemann, der auch im Zug war, daß Bismarck wegen einer Abstimmung
im Bundesrat seine Entlassung eingereicht habe. Hier in der Stadt und im
Reichstag spricht alles davon. Es werden alle möglichen Vermutungen auf-
gestellt und Witze gemacht. Württemberg habe den Reichskanzler gestürzt; wer
wird Reichskanzler: Obgleich die Preußen der Durchfall gegen die Kleinen
genirt, erkennen sie doch meist an, daß es sich um eine Lappalie handelte, zu-
dem um eine unpraktische, da die Quittungssteuer im Reichstag doch fallen
wird; daß man den Bundesrat streichen könne, wenn in solchen Dingen seine
Abstimmung nicht mehr frei wäre. Will Bismarck mit diesem Schritt der Ein-
richtung des Bundesrats irgendwie auf den Leib?"“
Während der Reichstagssitzung erfuhr Hölder noch Näheres über den Vor-
gang. v. Schmid, der württembergische Bevollmächtigte zum Bundesrat, handelte
genau nach Instruktion, in der Form aber vielleicht zu schroff. Bayern war
im Ausschuß gegen den Quittungsstempel, und der bayerische Minister v. Riedel
sprach in der speziellen Frage mit Schmid dagegen. In der Zwischenzeit bis
zur Plenarberatung verständigte sich Preußen mit Bayern auf einen Stempel
für den fraglichen Fall im Betrage von zehn Pfennig. Wahrscheinlich sicherte
Preußen Bayern dagegen die Beibehaltung seines bayerischen Stempels von
gewissen Quittungen bei der bayerischen Staatsfinanzverwaltung zu.