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ihm gekommen und habe gesagt, das seien ungefähr auch die Ideen des Reichs-
kanzlers. Letzterer habe ihn seinen diesfälligen Bericht an den Kaiser lesen lassen
und ihn zum Essen eingeladen. Bismarck beanspruche aber nicht für sich die
Substitutionen, sondern sei überhaupt gegen dieselben oder doch für äußerste
Begrenzung derselben. Die Königreiche hätten schon bisher selten oder doch
nur ausnahmsweise Substitutionen übernehmen dürfen, weil Preußen das sehr
übel ausgenommen hätte. So hätten die Kleinen die Vertreter von Kleinstaaten
benutzen müssen. Nun ärgere auch dies den Kanzler. Es sei allerdings auch
nicht ein gesundes Verhältnis; denn die Instruktionen gingen gewöhnlich nur
dahin, für den Ausschußmehrheitsantrag zu stimmen. Bismarck sage: die Klein-
staaten brauchten ja für ihre Vertretung im Bundesrat keinen großen Auf-
wand zu machen; sie sollten einen geeigneten Beamten schicken; ein solcher
könnte so gut wie ein preußischer Landtagsabgeordneter mit zwanzig Mark pro
Tag in Berlin leben. — An eine Verfassungsänderung werde gar nicht gedacht;
nur die Frage der Vertretung Elsaß-Lothringens im Bundesrat mit Stimmrecht
sei immer im Hintergrund. Das sei aber nun einmal verfassungsmäßig un-
möglich.
Bismarcks amtliche Schritte zur Beseitigung der im Bundesrat ein-
getretenen Anarchie blieben nicht aus. Um den 12. April stellte der Reichs-
kanzler im Namen Seiner Majestät des Kaisers den Antrag Preußens: Der
Bundesrat wolle eine Revision und Vervollständigung der Geschäftsordnung
vom 27. Februar 1871 beschließen.
Der betreffende Antrag lautete: „Bei dem im Jahre 1867 vereinbarten
Entwurfe der norddeutschen Bundesverfassung, welche die Grundlage der Reichs-
verfassung gebildet hat, wurden die verbündeten Regierungen von dem Ge-
danken geleitet, daß gegenüber der Vertretung des deutschen Volkes durch einen
auf allgemeinem Wahlrecht beruhenden Reichstag die Regierungen nicht durch
eine Gesandtenkonferenz, sondern nur durch korporatives Zusammenwirken ihrer
leitenden Minister mit dem notwendigen Gleichgewicht in die Arbeiten der
Gesetzgebung und Verwaltung eingreifen könnten. Nachdem aber die Arbeiten
des Bundesrats von Jahr zu Jahr umfänglicher geworden sind, hat es sich
gezeigt, daß die leitenden und verantwortlichen Minister der einzelnen Staaten
es mit den ihnen in der engeren Heimat obliegenden Geschäften nicht vereinigen
können, den Sitzungen des Bundesrats regelmäßig beizuwohnen. Wenn man
aus dieser Schwierigkeit die Konsequenz ziehen will, daß der Bundesrat der
ministeriellen Vertretung der einzelnen Regierungen dauernd zu entbehren habe,
so liegt es in der Natur der Dinge, daß das Gewicht der Autorität des
Bundesrats auf die Dauer nicht dasselbe bleiben kann wie bei unmittelbarer
Beteiligung der leitenden Minister an seinen Verhandlungen und Beschlüssen.
Das Interesse der verbündeten Regierungen macht es deshalb ratsam, diese