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mündlichen Verhandlungen des Bundesrats und der Ausschüsse sind, auch wenn
die Geheimhaltung nicht ausdrücklich angeordnet ist, geheim zu behandeln.
§ 27. Die zur Ausführung der Beschlüsse des Bundesrats erforderlichen
Verfügungen werden vom Reichskanzler getroffen.
Es ist nicht zu leugnen, daß durch die Neuregelung des Verhältnisses den
Beratungen und Beschlüssen des Bundesrats mehr Frische und Spontaneität
verliehen wurde, als dieselben bisher besaßen. Auch äußerlich trat ein Wandel
ein. So waren beispielsweise in der Sitzung des Bundesrats vom 23. April
1879 über fünfzig Mitglieder präsent, und der Bundesratssaal im Reichstag
war fast zu klein für die Zahl der Anwesenden. Neben dem Reichskanzler
gehörte nur eine verschwindend kleine Zahl von Mitgliedern zu den Fehlenden.
Unter den Teilnehmern befanden sich aber die leitenden Minister von Bayern
und Württemberg, der Finanzminister von Baden und die kleinstaatlichen
Minister fast vollzählig.
Mit dem am 10. Mai erfolgten Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung
des Bundesrats nahm die Zahl der Plenarsitzungen stetig zu, während die
Ausschüsse, nachdem sie die ihnen vorher überwiesenen Arbeiten erledigt hatten,
mehr außer Thätigkeit traten. Die Zunahme der Plenarsitzungen, deren jetzt
wöchentlich mindestens zwei stattfanden, während früher eine einzige Sitzung
ausreichte, fiel um so mehr ins Gewicht, als die Zahl der Vorlagen verhältnis-
mäßig gering war. Das Präsidium aber machte von der Bestimmung über die
erste Beratung der Vorlagen im Plenum einen so umfassenden Gebrauch, daß
den Ausschüssen nicht mehr viel übrig blieb; selbst rein technische Vorlagen,
wie zum Beispiel die Ausführungsbestimmungen zum Tabaksteuergesetz, die
Regulative für Transitlager von Holz und Getreide, wurden jetzt im Plenum
durchberaten. Gegnerische Blätter bemerkten zu der Thatsache: „Auf diesem
Wege der Plenarberatung sind bereits manche Vorschläge der Reichsregierung
zur Annahme gelangt, welche vorher in den Ausschüssen auf erheblichen Wider-
stand gestoßen waren. Das Resultat erklärt sich in sehr einfacher Weise dadurch,
daß in den Ausschüssen, in denen sieben Staaten durch je eine Stimme ver-
treten sind, die Bedenken der Minderheit in sehr viel umfassenderer Weise
Berücksichtigung finden als in dem Plenum, wo die siebzehn Stimmen Preußens
und einiger Mittelstaaten oder einer Anzahl kleiner Staaten genügen, alle Gegen-
gründe zu beseitigen. Die Verlegung des Schwerpunktes der Verhandlungen
in das Plenum hat demnach den Einfluß der preußischen Regierung in über-
raschender Weise zu dem ausschlaggebenden gemacht.“!)
1) Bevor die Maßregel in Kraft getreten war, gab es Stimmen, die meinten, es
werde daraus eine Stärkung der Mittelstaaten auf Kosten der Präsidialmacht hervorgehen.
Dazu bemerkte die „Nat.-Ztg. (Nr. 183 v. 20. 4. 80): „Die Erhaltung der Stellung der
Kleinstaaten ist eine durch die Stellung der Reichsgewalt ihr wie selbstverständlich vor-