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beantwortet hatte. Es waren der vertraulichen Worte genug gewechselt worden,
welche ihm die Ueberzeugung gaben, daß mit bundesfreundlichem Zureden
Hamburg sich nicht aus der einmal eingenommenen Position verdrängen
lasse. Bedurfte es doch, wie die Erfahrung lehrte, viel drastischerer Mittel
(Antrag Preußens vom 28. Mai 1880, betreffend die Einbeziehung der Unter—
elbe in das Zollgebiet durch Verlegung der Zollgrenze nach Cuxhaven), um die
„Halsstarrigkeit" Hamburgs zu brechen.
Wie sich übrigens die Verhältnisse zuspitzten, zeigt am besten die ungewöhn-
liche Art, daß ein Vertreter des Bundesrats sich über seine Stellung zu einer
im Bundesrat schwebenden Frage in der Presse äußerte. Von Dr. Kirchen-
pauer ging der „Post“ nachfolgende Zuschrift zu:
„In Ihrem heutigen Blatte Nr. 115 wird berichtet, ich hätte mich dahin
ausgesprochen, „daß dem Antrage Preußens auf Einverleibung eines Teiles der
hamburgischen Vorstadt St. Pauli in das Zollgebiet formell nichts im Wege stände,
da diese Vorstadt nicht zur Stadt Hamburg gehöre, sondern eine eigene Gemeinde
bilde#. — Ich erkläre, daß ich so oder in diesem Sinne mich niemals geäußert
habe; ich bin im Gegenteil der Ueberzeugung, daß die Einverleibung des in
Rede stehenden Teiles von St. Pauli ohne Zustimmung des Senats von
Hamburg rechtlich unzulässig ist.
Auf der anderen Seite rechtfertigt das Leibblatt des Kanzlers, die „Nordd.
Allg. Ztg.“, 1) das Vorgehen desselben ohne vorgängige Verständigung mit
Dr. Kirchenpauer wie folgt: „Verhandlungen mit Hamburg sind, soviel wir
wissen, dem preußischen Antrage nicht vorausgegangen, würden auch unserer
Ansicht nach mit dem Geiste der Reichsverfassung kaum verträglich sein. Diplo-
matische Verhandlungen des Bundesrats mit einzelnen Bundesstaaten haben
eben nach Schaffung des Reichs ihre internationale Berechtigung verloren, da
die Geschäfte des Reichs im Schoße des Bundesrats unter den Reichsgenossen
zu erledigen sind. Das Reich hat keinen Gesandten bei der Hansestadt Hamburg,
wohl aber hat letztere einen Vertreter im Bundesrat. Der Anspruch auf diplo-
matische Verhandlungen mit Hamburg bildete ein Residuum der alten parti-
kularistischen Tradition aus den Zeiten des Frankfurter Bundestags, welche
sich allerdings in Hambürg mit Hilfe des Zollausschlusses länger erhalten hat
als in den anderen Territorien des Reichs.“
Und bei einer späteren Gelegenheit (Nr. 219 vom 13. Mai 1880) be-
merkte das Kanzlerblatt: „Unter den Vorwürfen, welche der Reichsregierung
von hamburgischer Seite gemacht werden, gehört insbesondere auch der, daß
mit Hamburg über die Absichten der Reichsregierung nicht vorher verhandelt
worden sei. Es ist das eine Unwahrheit bezüglich der Frage, ob Hamburg
überhaupt geneigt sei, sich in Verhandlungen einzulassen über Vorbereitungen
1) Nr. 197 v. 29. 4. 80.