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Da die Meinungen auseinandergingen, so war von einer Seite beantragt
worden, über den Gegenstand erst in zwei Tagen abzustimmen, um eventuell
den Bevollmächtigten zum Bundesrat noch Gelegenheit zu geben, bei ihren
Regierungen um Instruktion zu bitten. Der bayerische Gesandte v. Rudhart
bat, die Frist auf vier Tage auszudehnen, um auch ihm die Instruktions=
einholung zu ermöglichen, setzte aber hinzu, er würde, wenn er ohne eine
solche, also nach seinem persönlichen Sentiment, abstimmen
müßte, glauben, dem Antrage eines Bundesstaats auf Prüfung
einer Frage durch den Verfassungsausschuß nichtentgegentreten
zu können.
Die Beschlußfassung wurde auf Antrag des Staatsrats Freiherrn v.
Spitzemberg auf die nächste Sitzung vertagt. 1)
Der Staatsminister Hofmann pflegte nach jeder Bundesratssitzung dem
Fürsten Bismarck einen schriftlichen Bericht über dieselbe zu erstatten und erwähnte
in demselben wohl auch die wenig vorsichtige Aeußerung des bayerischen Ge-
sandten, den Bismarck alsdann noch am Abend des darauffolgenden Tages auf
seiner parlamentarischen Soirée zur Rede stellte, indem er ihm zum Vorwurf
machte, er handle in der Sache wider die ihm (Bismarck) bekannten Intentionen
seiner (der bayerischen) Regierung. Augenscheinlich hatte sich der Kanzler, vielleicht
durch den Kanal der preußischen Gesandtschaft in München, der Zustimmung
der bayerischen Regierung zu seinem Vorgehen gegen Hamburg bereits versichert,
und der bayerische Gesandte war von dem, was hinter den Kulissen vorgegangen
war, offenbar nicht in Kenntnis gesetzt worden. Die weiteren Folgen des Falles
Rudhart sind, soweit es die Person des Gesandten betrifft, bereits Bd. III.
S. 405 erörtert.
Am 5. Mai 1880 nachmittags fand eine Sitzung der Ausschüsse für Zoll-
und Steuerwesen und für Handel und Verkehr statt, in welcher Fürst Bismarck
selbst den Vorsitz übernommen hatte. Der preußische Antrag bezüglich der Ein-
verleibung Altonas und eines Teiles der hamburgischen Vorstadt St. Pauli
bildete den Gegenstand der Beratung im Zusammenhang mit dem Protestantrage
Hamburgs. Es handelte sich zunächst um die formelle Behandlung der An-
gelegenheit, die allerdings für die schließliche Erledigung leicht als präjudiziell
sich erweisen konnte.
Die Einladung zu dieser Ausschußsitzung wurde erst etwas spät befördert;
es war an demselben Tage Sitzung im Reichstag, und da es Gewohnheit war,
daß an Tagen, an welchen der Reichstag in Funktion trat, die Bundesrats-
sitzungen im Reichstagsgebäude stattfanden, so begab sich Versmann in den
Reichstag nach der Leipziger Straße. Am Bundesratstisch erfuhr derselbe
von dem einzigen anwesenden Bevollmächtigten zum Bundesrat, daß die Aus-
1) § 321 der Prot. v. 1880, der S. 24 Note 2 citirten Quelle entnommen.