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liche Thatsache erinnern, daß die Verhandlungen des Deutschen Bundestags in
der Periode nach 1848 wesentlich von Verfassungs-Kompetenzfragen beherrscht
waren, obschon das Gebiet der damaligen Bundesverfassung ein engeres und
einfacheres war als das der heutigen Reichsverfassung. Es sind meine ge—
schichtlichen Erinnerungen an diese Zeit und an meine Erlebnisse im Deutschen
Bundestag, welche mich seit Herstellung des Norddeutschen Bundes und des
Reichs zum Anwalt derjenigen Vorsicht gemacht haben, mit welcher der Bundesrat
bisher jeden Verfassungskonflikt nicht nur, sondern jede Erörterung, welche zu
einem solchen führen konnte, vermieden hat. Nach meiner Ueberzeugung enthält
die politische Lage Deutschlands an sich und im Hinblick auf den Entwicklungs-
gang anderer europäischer Länder im Vergleich mit den ersten zehn Jahren,
welche der Neubegründung deutscher Einheit folgten, eine verstärkte Aufforderung
für die verbündeten Regierungen, ihre Einigkeit unter einander zu pflegen und
auch den Schein einer Trübung derselben zu vermeiden. Ich kann deshalb
meine Besorgnis darüber nicht unterdrücken, daß in dieser rein technischen und,
im Vergleich mit anderen Aufgaben der Zukunft, nicht bedeutenden Frage, im
Bundesrat sowohl wie im Reichstag, unsere Verfassung in der Art, wie es
geschieht, auf die Probe gestellt werden soll.
Ich zweifle nicht, daß der preußische und der hamburgische Antrag im
Bundesrat durch Verständigung, ohne Entscheidung durch Majoritäten und
Minoritäten, wird erledigt werden können. Von seiten Preußens wird jeder
dahin zielende Antrag, welcher sich im Rahmen der Reichsverfassung hält, gern
erwogen werden, vorausgesetzt, daß die verbündeten Regierungen in dem Ent-
schluß einig sind, den Versuchen, welche von einigen Mitgliedern des Reichstags
im Sinne der Beschränkung der verfassungsmäßigen Autorität des Bundesrats
gemacht werden, einmütig entgegenzutreten.
Eure 2c. ersuche ich ergebenst, diesen Erlaß Sr. Excellenz dem r2c. Herrn
Minister vorzulesen und ihm Abschrift desselben zu hinterlassen.
v. Bismarck." )
1) Die „Nat.-Ztg.“ Nr. 211 v. 8. Mai 1880 bemerkte zu diesem Erlasse: „Dieser Erlaß
gibt zu einer ganzen Reihe von Betrachtungen Anlaß. Wir wüßten nicht sofort aus dem
Gedächtnisse anzugeben, wie lange es schon her ist, daß eine preußische diplomatische Note
über eine noch schwebende Angelegenheit von preußischer beziehungsweise deutscher Seite
amtlich veröffentlicht worden ist. Aber von sehr zuständiger Seite sind wir einmal belehrt
worden, daß eine derartige Veröffentlichung stets ein Symptom für den hohen Ernst der
Zustände ist. Im vorliegenden Fall wird eine am 6. d. M. erlassene Note schon am
7. d. M. veröffentlicht, zu einer Zeit, wo sie günstigenfalls soeben etwa in München über-
geben sein kann. Das umlaufende Gerücht, daß in Betreff der erörterten Frage der
bayerische Bundesbevollmächtigte eine andere Ansicht kundgegeben habe als der Reichs-
kanzler, erhält hierdurch ein gewisses Relief. Von offiziöser Seite wurde kürzlich ausgeführt,
daß es gänzlich unzulässig sei, Angelegenheiten, die im Bundesrat zum Austrag gebracht
werden müssen, auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen mit den einzelnen Bundes-