— 283 —
jetzt die thatsächliche Probe machen wollte, was schließlich Rechtens wird, dann
müßte in diesem vorliegenden Falle die Majorität des Bundesrats Seiner
Majestät dem Kaiser erklären: hier haben wir Beschlüsse gefaßt, unser verfassungs-
mäßiges Recht ist, daß der Kaiser sie dem Reichstag vorlegt, und wir fordern
das. Der Kaiser könnte darauf antworten: ich will den Rechtspunkt nicht
untersuchen, ob ich dazu verpflichtet bin, ich will annehmen, ich wäre es, ich
weigere mich nicht, aber ich habe augenblicklich keinen Kanzler, der bereit ist,
das zu unterschreiben, — kann dann dem Kanzler befohlen werden: du sollst
und mußt das unterschreiben!? kann er mit Gefängnis wie bei Zeugenzwang
bedroht werden? Wo bliebe da die Verantwortung? Bleibt also der Kanzler
bei seiner Weigerung, so kann die Majorität des Bundesrats dem Kaiser sagen:
du mußt dir einen Kanzler schaffen, diesen entlassen, wir verlangen, daß unser
Beschluß vor den Reichstag gebracht werde, und die Verfassung ist gebrochen,
wenn das nicht geschieht. Nun, meine Herren, warten wir doch ab, ob der
Fall eintritt, ob der Klageberechtigte diesen Weg verfolgen will, und wenn er
ihn verfolgt, ob Seine Majestät der Kaiser dann nicht doch bereit ist, zu sagen:
gut, ich werde suchen, einen Kanzler zu bekommen, der bereit ist, den Beschluß
weiter zu befördern. — Ich will hier natürlich in eine Kritik der Gründe
nicht eingehen, die mich im konkreten Fall abgehalten haben, es waren eben
Gründe, die sich nicht am grünen Tisch, sondern im grünen Lande draußen
finden, die mich veranlaßt haben, die Durchführung dieses Gesetzes für unthunlich
zu halten, ich hatte nicht die Sicherheit, daß diese Unmöglichkeit, der Durch-
führung, auch von der Majorität dieses Hauses angenommen würde, wollte
aber das Land der Gefahr nicht aussetzen — Gefahr war es meines Erachtens
— dieses Gesetz zu bekommen; der Moment, wo ich diese Gefahr verhüten
konnte, war einzig und allein der der Vorlage im Namen des Kaisers. Das
verfassungsmäßige Remedium gegen diese Benutzung liegt im Wechsel der Person
des Kanzlers; ein anderes sehe ich nicht.
Inwieweit ich die Unterordnung unter den Bundesrat annehme, das
habe ich vorher auseinanderzusetzen versucht, ich habe aber zugleich damit
geschlossen, daß noch sub jsudice lis est, der Prozeß ist nicht geschlossen.
Ob ich nach meiner verfassungsmäßigen Ueberzeugung der Mehrheit des
Bundesrats mich fügen würde, wenn sie es verlangte, darüber habe ich mich
nicht auszusprechen, das ist eine Frage, die bisher nicht vorliegt; die Mehr-
heit hat es nicht verlangt. Ob ich bei Durchsetzung der Forderung be-
rechtigt bin, meinen Widerspruch aufrecht zu erhalten, darüber sage ich: non
liquet, wir werden es künftig sehen. Dergleichen entscheidet sich schließlich
durch das uralte Recht, was schon die Römer bei den Deutschen zu ihrem
Erstaunen fanden, wovon sie sagten: „Herkommen vocant.“ Dieses Her-
kommen hat sich bezüglich der Handhabung der Verfassung noch nicht aus-
gebildet.“ "