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abgesehen von den Freisinnigen. Mit dieser Ernennung erreichte Boetticher den
Höhepunkt seines Einflusses; er war nunmehr der Vertreter Bismarcks im Reiche
und in Preußen und hatte überall, besonders in den Personalfragen, mitzu—
sprechen. Die Besetzung der freigewordenen hohen Aemter erfolgte — mit
Ausnahme derjenigen des auswärtigen Ressorts — zumeist auf seinen Vor—
schlag, dem Bismarck nur dann entgegentrat, wenn er einen Kandidaten für
die zu besetzende Stelle bereits im Auge hatte.
Daß Boetticher unter Bismarck beabsichtigt habe, die Stellung eines Vize—
Präsidenten des Staatsministeriums zu einer politisch bedeutungsvollen auszu-
bauen, kann man gleichwohl nicht behaupten. Unter einem so gewaltigen
Ministerpräsidenten wäre dies aber auch selbst einem Miquel nicht gelungen,
denn von der Machtstellung, die Bismarck im Staatsministerium einnahm, kann
man sich schwer einen Begriff machen.
Die Thätigkeit Boettichers im Staatsministerium bestand also darin, in
der Abwesenheit Bismarcks in den Staatsministerialsitzungen den Vorsitz zu über-
nehmen, den Gang der Maschine äußerlich in Stand zu halten und zu setzen,
und Bismarck auch in jenen Angelegenheiten zu vertreten, welche im Staats-
ministerium bearbeitet werden respektive von demselben ressortiren.
Nichts stand allerdings im Wege, daß Beoetticher in seiner Eigenschaft als
Vize-Präsident des Staatsministeriums sich im preußischen Abgeordneten= und im
Herrenhause in hervorragender Weise an den politischen Verhandlungen be-
teiligte; hierzu fühlte derselbe aber keinen Beruf;1) die Reichs-Angelegenheiten
nahmen seine Kraft bereits so vollständig in Anspruch, daß er die parlamen-
tarische Vertretung der preußischen Politik — abgesehen von der handels-
ministeriellen — den Ressortministern überlassen zu müssen glaubte. Auch seine
Korrespondenz als Vize-Präsident des Staatsministeriums mit dem Abgeordneten-
und dem Herrenhause bewegte sich in engen Grenzen.2)
1) In seiner Eigenschaft als Vize-Präsident des Staatsministeriums nahm Beetticher
unter Bismarck im Abgeordnetenhause nur zweimal das Wort, am 18. März 1889 bei
Teilung des Regierungsbezirks Schleswig, Sten. Ber. Bd. II S. 1114, und am 30. April
1889 beim Schluß der Sitzungen der beiden Häuser des Landtags.
2) Es kommen überhaupt nur folgende Piecen in Frage: 14. Januar 1889: Schreiben
des Vize-Präsidenten des Staatsministeriums v. Boetticher an das Präsidium des Herren-
hauses, betr. die Dienstentlassung des Staatsministers v. Puttkamer 2c. — Nr. 6 der
Drucks. — 16. Januar 1889: Schreiben desgl., betr. die Uebersicht der von der Staats-
regierung gefaßten Entschließungen auf Anträge des Herrenhauses — Nr. 9 der Drucks. —