Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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läßt erkennen, daß bei der Ausarbeitung des letzteren diese Vorschläge in 
wesentlichen Punkten (Organisation der Versicherungsverbände, Einheitsrenten, 
Ortsklassen. Reichszuschuß) benutzt sind. 
In dieser Denkschrift vertrat Geheimrat Gamp den Standpunkt, daß die 
Alters= und Invalidenfürsorge nicht auf dem Boden des Privatrechts und nach 
den Grundsätzen der Privatversicherung geregelt werden dürfe. Die allgemeine 
Fürsorge für die erwerbsunfähig Gewordenen habe sich historisch als eine 
öffentliche Pflicht entwickelt und könne auch nur auf dem Boden des öffentlichen 
Rechts erreicht und sichergestellt werden; bei ihr handle es sich nicht um eine 
privatrechtliche Versicherung der Arbeiter, sondern um eine der Humanität und 
den Forderungen des praktischen Christentums entsprechende Umgestaltung der 
öffentlichen Fürsorge. Aus dieser Auffassung der Fürsorgepflicht ergebe sich die 
Konsequenz, daß die Beiträge der Arbeiter nicht ausschließlich nach dem der 
Kasse verursachten Risiko, sondern in erster Reihe nach der Leistungsfähigkeit 
der Versicherten bemessen werden müßten, daß ferner für die Höhe der zu 
gewährenden Renten nicht die Höhe der gezahlten Prämien, sondern vor allem 
das Bedürfnis der Arbeiter entscheidend sein müsse, und daß demgemäß eine 
jede Karenzzeit, die bei der Privatversicherung zum Schutz gegen unberechtigte 
Inanspruchnahme der Kasse unerläßlich sei, in Fortfall kommen müsse. 
Nach den Bestimmungen, die für gesetzgeberische Arbeiten aller Art vor- 
geschrieben waren, mußten dem Fürsten Bismarck vor Ausarbeitung des dem- 
nächst im Reichsamt des Innern ausgearbeiteten Gesetzentwurfs die Grundzüge 
desselben vorgelegt werden, und der Kanzler muß sich damit wohl einverstanden 
erklärt haben. Aus diesem generellen Einverständnis zu dem Gesetzentwurfe 
darf man aber nicht schließen, daß Bismarck mit allen Detailbestimmungen des- 
selben einverstanden war. So viel ist sicher: der von Boetticher dem Fürsten unter- 
breitete Entwurf fand in seinen Detailbestimmungen nicht in dem Maße das 
Interesse des letzteren, daß er sich dazu verstanden hätte, im einzelnen daran die 
bessernde Hand zu setzen, wie er es zum Beispiel an den drei Unfallversicherungs- 
entwürfen gethan hatte. Bismarck erwartete außerdem anfangs wohl nicht, daß der 
Entwurf schon bei der ersten Vorlage im Reichstage durchgehen würde. Infolge 
dessen ging die ganze Verantwortung auf Herrn v. Boetticher über. In der 
entscheidenden Sitzung des Reichstags vom 29. März 1889 anerkannte Bismarck 
gerne dessen Thätigkeit: „Namentlich in diesen jetzt vorliegenden Fragen bin ich 
durch meinen Kollegen ja mehr als ersetzt. Ich hätte das, was er in dieser 
Sache gethan und geleistet hat, selbst nicht leisten können, auch selbst, wenn ich 
in der Möglichkeit gewesen wäre, mich ausschließlich dieser Angelegenheit zu 
widmen. Jeder hat sein eigenes Fach, und in diesem Fache sehe ich neidlos 
das Verdienst meines Herrn Kollegen als das größere an als das meinige. 1) 
1) Ueber Bismarcks ursprüngliche und nachträgliche Stellung zu dem Gesetz findet 
man Mitteilungen in den „Hamburger Nachrichten“ v. 20., 24. und 29. Dezember 1891.
	        
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