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In der auf Hamburgs Seite stehenden Presse wurde das Vorgehen des
Bundesrats aufs schärfste kritisirt. So bemerkte die „National-Zeitung“
in der Nr. 246 vom 28. 5. 81:
„Eines Verhaltens, wie es dieser Tage dem Bundesrat beliebt hat, indem
er unter seiner Würde fand, bei einer Beratung des Reichstags gegenwärtig
zu sein, eines ähnlichen Falles, wie dieser ist, werden sich aus früheren Zeiten
auch die ältesten Leser deutscher Kammerverhandlungen nicht erinnern können.
Sollte etwa jemand an den vierjährigen Verfassungskampf zwischen dem
preußischen Abgeordnetenhause und dem Ministerium Bismarck zurückdenken, so
wird er doch immer noch meinen, durch den Bundesrat um eine Erfahrung
reicher geworden zu sein. Denn in jener Zeit kam es zwar öfters vor, daß
die Minister sich von Verhandlungen zurückzogen, indem sie erklärten, sich mit
keinem Nutzen auf weiteres einlassen zu können, worauf die Sitzungen ge-
schlossen oder das Abgeordnetenhaus aufgelöst wurde; aber es lag da jedesmal
ein von dem Hause gefaßter Beschluß vor, welcher die Regierung veranlaßte,
sich so zu benehmen. Daß dies gegenwärtig nicht der Fall ist, daß der Reichstag
nichts beschlossen, nichts gethan hatte, als ihm der Bundesrat den Verkehr auf-
kündigte, das macht einen erheblichen Unterschied. Das deutsche Volk wird nur
mit Erstaunen sehen können, daß der Bundesrat weiter geht als vor zwanzig
Jahren das Ministerium Bismarck. Und wenn im Fortschritt allerdings eine
Aehnlichkeit erkennbar bleibt, wenn das, was wir heute erleben, einen ver-
wandten Stempel wie das Ehemalige immer noch zu tragen scheint, so muß
man wohl den Bundesrat bewundern, der so handelt und verfährt, obschon
er bis auf den einen Mann, den Reichskanzler, aus lauter neuen Männern
besteht.
Was hatte denn bei dem Bundesrat so großen Anstoß erregt, daß er für
angemessen hielt, so feierlich wie möglich den Saal des Reichstags zu räumen?
Die Ursache war kein Beschluß, keinerlei Handlung des Reichstags, sondern war ein
eingebrachter Antrag einiger Abgeordneten. Dieser Antrag der Abgeordneten Richter
und Karsten stand nicht allein auf der Tagesordnung, sondern es lagen zusammen
mit ihm noch zwei andere, auf denselben Gegenstand bezügliche der Abgeordneten
Ausfeld und Marquardsen vor, so daß der Bundesrat, welchen Anstoß er auch an dem
ersteren nehmen mochte, immerhin noch in den letzteren Anträgen einen Beratungs-
stoff vor sich hatte. Daß er auch diesen seine Gegenwart habe entziehen müssen,
hat der Bundesrat selbst nicht behauptet, und es würde mithin schon darum
in der Ordnung gewesen sein, daß er wegen der Anträge Ausfeld und
Marquardsen im Saal geblieben wäre. Was den Richterschen betraf, so hatten
überdies auch die Konservativen bereits gefordert, ihn durch Uebergang zur
Tagesordnung zu beseitigen, und nachdem die Verhandlung über die Sache
begonnen hatte, kam bald auch noch ein fünfter Antrag des Zentrums hinzu.
Wo ist es nun wohl jemals vorgekommen, daß unter solchen Umständen eine